Aus der Offroad-Rennserie Extreme E für Elektroautos wird in diesem Jahr Extreme H – der erste professionelle Motorsport nur für Wasserstoffautos. Geschäftsführer Ali Russell und Rob Atkinson von Siemens sprachen mit HZwei darüber, wie solche Rennen Entwicklungen in der Automobilindustrie beschleunigen.
HZwei: Mit Wasserstoff zu fahren erfordert schon bei normalen Bussen und Lkw eine Vielzahl spezieller Sicherheitsmaßnahmen, viele Menschen haben noch immer ein mulmiges Gefühl. Wie geht man im Rennsport mit einem so explosiven Gas um?
Ali Russell: Wenn Menschen Wasserstoff hören, denken sie an Explosionen. Bei unseren Rennen sieht man, dass es Unfälle geben kann, aber keine Zwischenfälle, keine Explosionen. Die Technologie funktioniert und ist sicher. Seit Generationen werden mit brennbaren Kraftstoffen Rennen gefahren, und Explosionen sind dabei einfach kein großes Thema.
Natürlich ist der Sport an sich unglaublich gefährlich, deshalb müssen wir ihn so sicher wie möglich machen. Aus diesem Grund stammen Sicherheitsaspekte wie Sicherheitsgurte und Seitenspiegel ursprünglich aus dem Rennsport.
Wasserstoff ist eine Industrie in den Kinderschuhen. Wir zeigen, dass es aus Leistungssicht funktioniert. Wenn es in der Atacama-Wüste und in der Arktis funktioniert, funktioniert es überall. Wir sehen uns auch als Plattform, um Unternehmen wie Siemens, Hyundai, Stellantis und General Motors voranzubringen.
„Explosionen sind kein großes Thema.“
Wie unterscheiden sich die Rennen von Extreme E und Extreme H von der Formel 1?
Russell: Das Format von Extreme H ist ein Offroad-Rennen wie bei Extreme E. Es ist sehr anders als die Formel 1. Wir wollen junge Menschen ansprechen. Es ist viel dynamischer. Es ist ein Mehrwagenrennen und gleichzeitig ein Zeitrennen, unglaublich leicht zu verstehen. Wir haben 50/50 Männer und Frauen am Steuer.
Wir hatten 13 Jahre Formel E, und das Extreme E-Rennen ist jetzt zu Extreme H geworden. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden. Als wir mit der Formel E begannen, glaubte niemand daran, die Menschen misstrauten der Technologie. Sie hatten Angst, einen Stromschlag zu bekommen oder dass die Batterien Feuer fangen. Wahrscheinlich war es ähnlich, als Pferdekutschen durch Autos ersetzt wurden.
Wir verwenden dieselben Elektrofahrzeuge wie in der Formel E. Anstelle der Batterie haben wir jetzt eine Brennstoffzelle an Bord. In Zukunft könnten auch Wasserstoff-Verbrennungsmotoren an denselben Wettbewerben teilnehmen.
Es gibt drei verschiedene Rennen. Das erste ist ein Zeitrennen, von einem Punkt durch den Sand zu einem anderen und zurück, dann wird der Fahrer gewechselt und das Ganze wiederholt. Das zweite Rennen ist ein 1:1-K.-o.-Wettbewerb. Die dritte Runde ist ein Mehrwagenrennen, alle starten gleichzeitig und wer zuerst die Ziellinie überquert, gewinnt.
Rob Atkinson:Es ist eine sehr zuschauerfreundliche Form des Rennsports, viel interessanter als die langen Formel-1-Rennen, nur etwa 20 Minuten pro Rennen. Es gibt viel mehr Action und auch mehr Informationen in diesem Format.
Russell:Es gibt acht Teams mit acht Autos und sechzehn Fahrern, je ein männlicher und ein weiblicher Fahrer pro Team, wie beim gemischten Doppel in Wimbledon. Das ist im Rennsport ungewöhnlich, normalerweise sind 97 Prozent der Fahrer Männer. Der Zeitunterschied zwischen den besten männlichen Fahrern beträgt etwa zwei Zehntelsekunden. Als wir vor vier Jahren mit den gemischten Teams begannen, lag der Zeitunterschied zwischen Männern und Frauen bei etwa vier Sekunden. Dieser ist auf eine Sekunde gesunken. Wir haben also bewiesen, dass es echten Fortschritt gibt, wenn Frauen Zugang zu denselben Werkzeugen und demselben Coaching haben und man sie in dasselbe Team steckt, sodass sich die Mitglieder gegenseitig helfen können, schneller zu werden. Das ist ein wirklich positiver Nebeneffekt unseres Rennsports, und wir wollen zusammenarbeiten und diese Ergebnisse teilen.
„Als wir mit der Formel E begonnen haben, musste man im Rennen das Auto wechseln, weil die Batterie nicht ausreichte.“
Bei der Extreme E in Saudi Arabien im Februar 2024 lieferte das Solarsystem einen Teil der Energie für die Veranstaltung.
Als wir mit der Formel E begonnen haben, konnte man nicht wirklich schnell fahren, man konnte das Rennen nicht einmal mit demselben Auto beenden, man musste das Auto wechseln, weil die Batterie nicht ausreichte. Innerhalb von drei Saisons haben wir die Energiedichte erhöht und die Effizienz stieg von etwa 30 bis 35 Prozent auf 98 bis 99 Prozent. Wir haben am Batteriemanagement gearbeitet, und durch die Tests und Entwicklungen in der Formel E konnte Jaguar den Energieverbrauch optimieren und die Batterieleistung in seinen eigenen Fahrzeugen verbessern, was zu einer Reichweitensteigerung von 20 Prozent beim I-PACE-Modell führte.
Siemens ist eines der Unternehmen, das stark auf die Wasserstoffwirtschaft setzt.
Atkinson: Wir haben viel Entwicklungsarbeit an Brennstoffzellen und den Fahrzeugen für Extreme H geleistet und arbeiten jetzt mit dem OEM an deren Brennstoffzellen. Wir wollen ein Enabler für die Wasserstoffindustrie sein. Wir verkaufen nicht das Ziel, wir verkaufen die Reise.
Deshalb haben wir im Juni hier in Amberg das Organisationstreffen für Extreme H ausgerichtet. Und das hat uns wirklich auf ein neues Verständnisniveau gebracht. Wir haben noch nicht alle Antworten, aber alle auf der Veranstaltung kannten die Herausforderungen sehr gut und waren hoch engagiert. So haben wir eine völlig neue Sichtweise auf das gesamte Thema gewonnen. Deshalb entspricht ein Jahr Rennsport zehn Jahren Forschung und Entwicklung. Der Rennsport bringt auch stationäre Systeme voran. Eine sogenannte Hydrogen Power Unit von Geopura liefert 80 Prozent der Energie für die Veranstaltung, und das System hat sich weiterentwickelt. Geopura begann mit einem Wasserstoffsystem pro Jahr, jetzt produzieren sie mehr als 40, hauptsächlich für Übertragungen in ländlichen Gebieten ohne Stromnetz. Ihr Marktzugang ist wirklich innovativ. Sie verkaufen nicht die Stromaggregate, sondern stellen Strom als Dienstleistung bereit. So ist das Risiko für den Kunden geringer. Siemens hilft beim Hochskalieren. Wir haben die Automatisierung zur Steuerung der Stromaggregate geliefert und helfen, alles kosteneffizienter zu machen.
Russell: Wir können eine Kommunikationsplattform sein. Es gibt nicht nur die Formel 1, sondern auch NASCAR- und IndyCar-Rennen. Es gibt berühmte Fahrer wie Lewis Hamilton, Nico Rosberg, Jimmie Johnson und Michael Andretti. Gemeinsam können wir eine Milliarde Menschen erreichen.
„Motorsport kann Nachhaltigkeit attraktiver machen. Wir können eine Milliarde Menschen erreichen.“
Wir glauben, dass sich Mobilität nachhaltiger entwickeln kann. Wir müssen nicht zu Pferdekutschen und Segelbooten zurückkehren. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir viel schneller wachsen.
Bisher ist Nachhaltigkeit aus Sicht der Verbraucherplattform nicht attraktiv genug. Der Motorsport kann Nachhaltigkeit viel attraktiver machen.
Über Ali Russell und Extreme H
Sportmanager Ali Russell ist Geschäftsführer sowohl von Extreme E als auch von Extreme H. In den ersten beiden Saisons war er als Chief Marketing Officer für die Veranstaltung tätig.
Die Formate Extreme E und Extreme H werden von der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA) unterstützt, dem internationalen Motorsportverband, der unter anderem auch die Namensrechte an der Formel 1 hält und deren Regeln festlegt. Siemens richtete im Juni 2025 ein Vorbereitungstreffen für das erste Extreme-H-Rennen aus.
Ali Russel und Rob Atkinson beim Vorbereitungstreffen bei Siemens in Amberg im Juni 2025.
Nachhaltigkeit im Motorsport: Wenn die Rennwagen mit dem Zug ankommen
Extreme E ist eine Offroad-Rennserie mit elektrischen SUVs. Die Veranstaltung greift auch das Thema Klimawandel und Klimaschutz sowie weitere Themen aus den UN-Nachhaltigkeitszielen auf – zum Beispiel durch geschlechterparitätisch besetzte Teams mit je einem Mann und einer Frau. Das Sendeformat beinhaltet auch Informationen zum Klimaschutz.Bei der Extreme H bleibt das Rennformat gleich, aber anstelle batterieelektrischer Antriebe werden Brennstoffzellenantriebe eingesetzt. Die Offroad-Rennen finden an abgelegenen Orten statt, darunter waren bisher die Arktis, die Atlantikküste Senegals, die Wüsten Saudi-Arabiens und in ein ehemaliges Kohlebergwerk in Schottland. Das erste Rennen der Extreme H findet in Saudi-Arabien statt.
Bei der Extreme E beziehungsweise Extreme H arbeitet FIA auch daran, die Emissionen des Events zu senken. Dabei machen die Autos während des Rennens einen verschwindend geringen Teil aus, deutlich unter einem Prozent waren es in der jüngsten Saison der Extreme E im Jahr 2024. Der größte Teil der Emissionen (91 Prozent) entsteht beim Transport des Materials, gefolgt von den Reisen des Teams (gut 5 Prozent). Der Betrieb vor Ort macht immerhin etwa 3 Prozent aus.
Anfangs geschah das Senken der Emissionen vor allem mit hydriertem Pflanzenöl (HVO) als Treibstoff für den Generator, doch mit den Jahren wuchs der Anteil von Wasserstoff. Diesen Anteil deckt FIA mit einem Brennstoffzellensystem von Enowa. Als Treibstoff kommt ein Wasser-Methanol-Gemisch zum Einsatz. Der Strom aus den Brennstoffzellen wird ein einem Second-Life-Batteriesystem von Zenobe gespeichert und über ein Microgrid vor Ort verteilt. Zusätzlich wird vor Ort Solarstrom erzeugt. In der 4. Saison von Extreme E im Jahr 2024 stammte knapp über die Hälfte der Energie aus Wasserstoff, 10 % aus Solarstrom und der Rest aus HVO. Bei Extreme H in diesem Jahr soll HVO nur noch als Back-up dienen.
Für den CO2-intensiven Transport der Rennwagen und der Ausrüstung experimentieren die Organisatoren. Bei einigen Veranstaltungen war ein eigens umgebautes Schiff im Einsatz, die RMS St Helena. Mittlerweile ist dieses aber verkauft. Beim Hydro X Prix im Juli 2024 kamen die 70 Frachtcontainer mit 21 Rennwagen und sonstiger Ausrüstung per Zug von Portland in Südengland nach Dumfries und Galloway in Schottland.
Der Umweltverband BUND kritisierte die Extreme E als Greenwashing – vor allem, da sie sensible Landschaften zerstöre. Der Veranstalter reagierte mit dem Hinweis auf ausführliche Umweltprüfungen.