Springe zum Hauptinhalt Skip to main navigation Skip to site search
Grüne Schiffstreibstoffe

Nutzungspfade im Vergleich

Text: Jana Reiter, Christoph Höfer

Containerschiffe könnten ein Einsatzgebiet für SOFC-Brennstoffzellen im Multifuel-Betrieb werden.

© MAGNIFIER - stock.adobe.com

Containerschiffe könnten ein Einsatzgebiet für SOFC-Brennstoffzellen im Multifuel-Betrieb werden.

Der Warenverkehr auf See nimmt global zu. Die Seefahrt verursachte 2018 bereits rund 2,9 Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen, Tendenz steigend. Mehr als 99 % ihres Energiebedarfs deckt die internationale Seefahrt bisher mit Kraftstoffen auf Basis von Erdöl. Als klimaschonende Antriebstechnologie ist die Festoxid-Brennstoffzelle (SOFC) vor allem für Containerschiffe aussichtsreich. Sie läuft mit Ammoniak, Methanol oder Wasserstoff – neueste Modelle können sogar zwischen den Treibstoffen wechseln. Unklar ist bisher aber, wie konkrete Nutzungspfade aussehen werden. Dementsprechend fehlt auch die Grundlage für Aussagen über wichtige Kennzahlen wie Kosten, Treibhausgasemissionen, Effizienz der gesamten Prozesskette, Landbedarf und Reifegrad der Technologien. Das EU-Projekt Fuelsome hat mögliche zukünftige Bereitstellungspfade für alternative Treibstoffe definiert, um das zu erleichtern.

Das Projekt Fuelsome als Ganzes untersucht und entwickelt ein Multifuel-System mit SOFC-Brennstoffzelle umfassend mit dem Ziel, den Technologiereifegrad 4 zu erreichen. Daran arbeiten insgesamt acht internationale Partner: der Technologiekonzern AVL List, der Forschungsverbund Atena Scarl, das Softwareunternehmen eBOS Technologies Ltd, der Brennstoffzellenhersteller Elcogen Oy, die Technische Universität Politechnika Warszawska, die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und das österreichische Forschungsinstitut AEE Intec. AEE Intec geht dabei der Frage nach, wie man die Key Performance Indicators (KPI) der Nutzungspfade vergleichbar machen kann.

Strukturdiagramm als Gerüst

Nun ist der erste Teil des Projektes abgeschlossen. Die ersten Ergebnisse sind umfassende Strukturdiagramme, die als Gerüst dienen, um konkrete Treibstoffpfade zu untersuchen. Sie entstanden in einem iterativen und transdisziplinären Prozess. Die Darstellung beginnt mit der Frage, wo die Rohstoffe (Feed Stock) für die Treibstofferzeugung herkommen – im physikalisch-chemischen Sinne also chemische Elemente wie Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff. Danach werden die weiteren Prozessschritte abgearbeitet: der Transport, die Speicherung und Bereitstellung. Jeder Nutzungspfad endet mit der Erzeugung der Antriebsenergie auf dem Schiff und bildet so die gesamte Kette ab (Well to Wheel).

Nach der Definition der Pfade, folgte die Herausforderung der Parametrisierung der einzelnen Prozessschritte. Darin hinterlegten die Forschenden zum Beispiel die volumetrische und die massenbezogene Energiedichte von Wasserstoff und Ammoniak im gasförmigen und flüssigen Zustand, für den Betrieb der Brennstoffzelle nötige Reinheitsanforderungen, und sämtliche Kostenmodelle für eine Skalierung. Dadurch wird die Berechnung, Skalierung und Optimierung in einem konkreten Rechenmodell ermöglicht.

Um die bis dahin noch theoretischen Pfade mit der Praxis zu verknüpfen, haben die Forschenden konkrete Use Cases definiert – also beispielhafte Anwendungen der Nutzungspfade, die eine konkrete Kombination von Technologien beinhalten.

Die Use Cases sind grundsätzlich vom Standort unabhängig. Die Modellierung in verschiedenen Case Studies soll sich allerdings auf reale Hafenstandorte beziehen, da diese einen großen Einfluss auf die Ergebnisse haben. Das Team von AEE INTEC hat Case Studies für zwei in Europa wichtige Häfen erstellt: Rotterdam, Niederlande, und Valencia, Spanien. Für jeden Standort und dessen technologische Voraussetzungen werden die jeweiligen KPIs berechnet und alle Daten in Bezug auf wichtige Akzeptanzkriterien bewertet. Drei für die Praxis relevante Use Cases stehen dabei im Fokus und sind im Folgenden skizziert.

Use Case 1: Wasserstofferzeugung durch PEM-Elektrolyse

Dieser Use Case betrachtet die Erzeugung von Wasserstoff mit der Protonen-Austausch-Membran-Elektrolyse (PEM-Elektrolyse) unter Einsatz von Strom aus Wind- und Solarenergie. Die PEM-Technologie wurde wegen ihrer guten Kombinierbarkeit mit den fluktuierenden erneuerbaren Energien gewählt. Das Modell lässt sich aber grundsätzlich genauso auf eine Alkali-Elektrolyse oder jede andere Technologie anwenden, sofern entsprechende Daten verfügbar sind. Vor der Elektrolyse ist eine Wasseraufbereitung nötig, deren Eckdaten ebenfalls im Modell hinterlegt sind. Der Wasserbedarf ist im Modell keine feste Restriktion, sondern eine Ausgangsgröße – die Interpretation bleibt also dem Anwender überlassen.

Gespeichert wird der erzeugte Wasserstoff in diesem Use Case vor Ort in einem ausgeförderten Erdgasreservoir. Per Pipeline kommt der gasförmige Wasserstoff anschließend zum Hafen, wo er wiederum in einem einstigen Erdgasreservoir gespeichert wird, sodass immer genügend davon für die Betankung zur Verfügung steht. Es wurde mit geologischen Speichern gerechnet, da diese grundsätzlich an vielen Standorten und häufig auch in Küstennähe verfügbar sind. Die Datenlage aus Studien ist zudem relativ gut. Technische Hochdruckspeicher gibt es hingegen kaum in großem Stil und ein einfaches Hochrechnen aus kleinen Speichern führt zu keinem sinnvollen Ergebnis. Grundsätzlich gilt hier, wie bei der Elektrolyse-Technologie: Sofern die Parameter bekannt sind, können auch andere Speicher in das Modell eingepflegt werden.

Use Case 2: Ammoniakerzeugung im Haber-Bosch-Verfahren

Ammoniak (NH3) punktet im Vergleich zu Wasserstoff mit einer hohen volumetrischen Energiedichte und leichter Speicherbarkeit, denn es ist bei Umgebungsdruck schon bei Temperaturen unter -33 °C flüssig. Es kann im Haber-Bosch-Verfahren großindustriell aus Wasserstoff und Stickstoff hergestellt werden.

Dieser zweite Use Case beinhaltet zunächst dieselben Schritte wie Use Case 1. Nachdem der Wasserstoff jedoch zum Hafen transportiert wurde, erfolgt dort die Ammoniaksynthese, die ebenfalls mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Der dafür nötige Stickstoff wird durch ein kryogenes Zerlegungsverfahren aus Umgebungsluft gewonnen.

Use Case 3: Methanol aus Wasserstoff und ­Biogas

Der dritte Use Case setzt auf den Treibstoff Methanol. Wie die ersten beiden Use Cases beginnt auch dieser mit der Wasserstoff-Erzeugung und dem Transport zum Hafen. Dort wird in einer anaeroben Vergärung auch Biogas erzeugt. Das Rohmaterial hierfür können zum Beispiel biogene Rest- oder Abfallstoffe sein oder Gülle. Danach ist eine Reinigung des Biogases nötig: CO2 und CH4 (Methan) aus dem Biogas werden für die Methanol-Synthese benötigt, Bestandteile wie Schwefelwasserstoff oder Ammoniak müssen hingegen entfernt werden. Aus dem grünen Wasserstoff und der Mischung von CO2 und Methan lässt sich dann Methanol synthetisieren.

Schematische ­Darstellung eines Netzwerk­diagramms für einen beispielhaften Anwendungsfall.

© AEE INTEC

Schematische ­Darstellung eines Netzwerk­diagramms für einen beispielhaften Anwendungsfall.
Verlauf des Antriebsenergiebedarfs (blau), und Verlauf des gedeckten Antriebsenergiebedarfs (grün) und die Wartezeit der Schiffe im Hafen bis zur vollständigen Betankung (rot) für den Fall einer Lieferkette, die den Bedarf in den Wintermonaten aufgrund der geringeren Stromversorgung durch die für die Wasserstoffproduktion benötigte Photovoltaikanlage nicht ohne Wartezeiten decken kann. Zwischen November und März liegt das Angebot konstant unter der Nachfrage. Eine effektive Designoptimierung für einen Versorgungspfad mit diesem Verhalten würde eine Erhöhung der Stromzufuhr aus alternativen Quellen wie Wind- oder Wasserkraft beinhalten.

© AEE INTEC

Verlauf des Antriebsenergiebedarfs (blau), und Verlauf des gedeckten Antriebsenergiebedarfs (grün) und die Wartezeit der Schiffe im Hafen bis zur vollständigen Betankung (rot) für den Fall einer Lieferkette, die den Bedarf in den Wintermonaten aufgrund der geringeren Stromversorgung durch die für die Wasserstoffproduktion benötigte Photovoltaikanlage nicht ohne Wartezeiten decken kann. Zwischen November und März liegt das Angebot konstant unter der Nachfrage. Eine effektive Designoptimierung für einen Versorgungspfad mit diesem Verhalten würde eine Erhöhung der Stromzufuhr aus alternativen Quellen wie Wind- oder Wasserkraft beinhalten.

Simulationstool wird gerade erstellt

Vorläufige Berechnungen und Bewertungen der Nutzungspfade gibt es schon, doch sie sind noch recht grob. Die direkte Nutzung von Wasserstoff hat den Vorteil, weniger Umwandlungen zu benötigen, was die Effizienz erhöht und die Investitionskosten senkt. Allerdings ist das Technology Readiness Level bei der direkten Nutzung von Wasserstoff am geringsten, vor allem wegen der fehlenden Infrastruktur. Bei der Methanolerzeugung aus Biogas schlagen hingegen die Kosten für die CO2-Abscheidung in den Kraftstoffkosten sehr stark durch. Für konkrete Vergleiche von Use Cases oder gar Entscheidungen sind diese ersten Daten aber noch nicht solide genug.

Die Forschenden arbeiten aktuell daran, ein verlässliches und präziseres Simulationstool zu entwickeln, welches auch zeitlich aufgelöst Treibstoffpfade errechnen kann. Das Softwaretool wird Ende 2025 fertig sein und auch Fachleuten außerhalb des Projektes zugänglich sein. In einem Workshop sollen die Projektergebnisse sowie das Tool voraussichtlich im April 2026 interessierten Hafenunternehmen präsentiert werden. So können diese mit einem durchgängigen Rechenmodell abbilden, welche Potenziale es an ihren konkreten Standorten unter Einbeziehung ihrer Ressourcen gibt. Interessierte können sich bei AEE INTEC bereits für den Workshop vormerken lassen.

Über AEE INTEC

AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC) wurde 1988 gegründet und ist heute eines der führenden europäischen Institute der angewandten Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energie und Ressourceneffizienz. In den drei Zielgruppenbereichen „Gebäude“, „Städte & Netze“ und „Industrielle Systeme“ sowie drei technologischen Arbeitsgruppen „Erneuerbare Energien“, „Thermische Speicher“ sowie „Wasser- und Prozesstechnologien“ reicht die Palette der durchgeführten F&E-Projekte von grundlagennahen Forschungsprojekten bis hin zur Umsetzung von Demonstrationsanlagen. Seit 2015 ist AEE INTEC Mitglied von Austrian Cooperative Research – ACR.

MSc Dr. Jana Reiter
AEE INTEC, Projektleiterin

DI Dr. Christoph Höfer
AEE INTEC

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ HZwei E-Paper-Ausgabe – 5 Ausgaben im Jahr
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
 

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen