Monika Rößiger
Unermüdlich rumoren die Bagger auf einem etwa 16.000 Quadratmeter umfassenden Teil des Geländes und reißen eine Betonwand nach der anderen ein. Damit bereiten sie den Boden für eine große Transfomation: Die Errichtung einer 105 MW-Elektrolyseanlage. In Moorburg, wo 1911 die erste Dampfmaschine der Hansestadt stand, entsteht heute mit dem Hamburg Green Hydrogen Hub (HGHH) eines der ersten Großelektrolyse-Projekte in Deutschland. Ab 2027 sollen hier jährlich 10.000 Tonnen grünen Wasserstoff erzeugt werden.
Vom Kohlekraftwerk zur Wasserstoff-Fabrik
Die Betreiber Hamburg Energie und Luxcara setzen auf eine PEM-Elektrolyse, bei der das grüne Gas mit atmosphärischem Druck erzeugt und anschließend auf 25 bis 30 bar komprimiert wird. Die Stacks für die Elektrolyse-Anlage werden in der Gigafactory von Siemens Energy in Berlin gefertigt und am Standort Mülheim montiert, erläutert Christoph Cosler, Leiter Unternehmensentwicklung der Hamburger Energiewerke und HGHH-Geschäftsführer. „Für die neue Anlage entsteht eine eigene Halle, in der Elektriziätstechnik und Gasseite sauber voneinander getrennt werden.“
Aus Vergangenheit wird Zukunft
Mit dem fast 140 Meter hohen Doppelschornstein und den beiden Kesselhäusern waren zuvor markante Bauwerke des Kohlekraftwerks gesprengt worden. Die Betreiber versichern dennoch, so viel wie möglich der vorhandenen Infrastruktur künftig weiter zu nutzen. So bleibt beispielsweise der 380-Kilovolt-Anschluss erhalten und die Wasseraufbereitung wird für Elbwasser zur Elektrolyse umgerüstet.
Mitte Oktober dieses Jahres hat HGHH das Münchener Unternehmen Kraftanlagen Energies & Services mit der Umsetzung der sogenannten Balance-of-Plant-Infrastruktur für seinen Elektrolyseur beauftragt. Dazu gehören unter anderem die Stromverteilung, Wasseraufbereitung, Kühl- und Kompressorstationen sowie die Anbindung an das Wasserstoffnetz.
Flexibilität steht im Mittelpunkt des Konzepts.
Zusätzlich wird eine Lkw-Verladestation errichtet. Diese sorgt laut HGHH für zusätzliche Flexibilität beim Transport des Wasserstoffs, denn außer potenziellen Industriekunden im Hafen sollen bei Bedarf auch Tankstellen und Gewerbebetriebe das zertifizierte Grüngas erhalten können.
Da kein stationärer Wasserstoff-Speicher geplant ist, dienen Trailer als mobile Pufferspeicher. Jeder Trailer fasst ein bis zwei Tonnen Wasserstoff bei 380 bis 500 bar Druck. Ein 10-20-Megawatt-Batteriespeicher soll zusätzliche Flexibilität schaffen. Über eine Rohrleitung gelangt der Wasserstoff zu einer Trailerverlade-Station und weiter zur Gasübergabe-Station für das Hamburger Wasserstoff- Industrienetz HH-WIN.
Einsatz im Hafen, in der Industrie und Mobilität.
Dass Arcelor Mittal sein Walzdrahtwerk im Hamburger Hafen trotz bereits vorhandener Direktreduktionsanlage vorerst nicht auf Wasserstoff umstellt, sei natürlich bedauerlich, gibt Cosler zu. „Aber in Deutschland gibt es noch andere Stahlwerke, die grünen Wasserstoff brauchen werden.“
Der Anschluss der Hamburger Wasserstofffabrik an den European Hydrogen Backbone ist ebenfalls für 2027 vorgesehen. „Ab 2030 sehen wir einen immensen Bedarf an grünem Wasserstoff“, sagt Cosler. „Nicht nur im Hamburger Hafen, sondern in ganz Deutschland.“ Deshalb geht er auch davon, dass die bereits eingeplante Skalierung der Elektrolyse-Anlage realisiert wird; möglich sind nach derzeitigem Stand bis zu 800 MW.
Das Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz (HH-WIN) bildet die Grundlage für die künftige H2-Infrastruktur der Hansestadt. „Bis 2027 soll die erste Ausbaustufe von 40 Kilometern fertiggestellt werden“, berichtet Projektleiterin Elisabeth Ziemann von den Hamburger Energienetzen. Dann starte der Betrieb sowie die Verknüpfung von lokalen und überregionalen Märkten. Bis 2031 solle das Netz dann auf 60 Kilometer erweitert werden.
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Der „Hamburg Green Hydrogen Hub“
Der HGHH ist ein Important Project of Common European Interest (IPCEI) der EU. Bund und Land fördern es mit mehr als 154 Millionen Euro. Die Stadt Hamburg hat das Kraftwerk Moorburg – aufgrund eines Volksentscheids – von seinem früheren Eigentümer Vattenfall zurückgekauft. Die Hamburger Energiewerke sind zu 100 Prozent in Besitz der Hansestadt.
Die erste Phase ist bereits im Bau.
Sie umfasst 33 Kilometer Neubau und sieben Kilometer umgestellte Bestandsleitungen. Diese wurden zuvor mit sogenannten Magnetresonanz- und Ultraschallmolchen gereinigt und auf ihren Zustand überprüft. Auch eine ehemalige Kraftwerksleitung stellte sich dabei als gut geeignet für den Wasserstofftransport heraus. Die Nutzung von Bestandsleitungen reduziert sowohl die Investitionskosten als auch die notwendigen Bauarbeiten.
Der Durchmesser der Rohrleitungen variiert zwischen 200 und 500 Millimetern bei Druckstufen von 25 beziehungsweise 70 bar. Auf einer Strecke von 4,5 Kilometern werden derzeit Wasserstoff- und Stromleitungen gemeinsam verlegt, um Belastungen für Naturschutz und Anlieger so gering wie möglich zu halten.
1,4 Millionen Tonnen weniger CO2 pro Jahr
Das Dekarbonisierungspotential von HH-WIN ist erheblich: Derzeit werden laut Ziemann 15 bis 21 Terawattstunden Erdgas durch das Netz transportiert. Etwa ein Drittel davon könnte dekarbonisiert werden, was jährlich 1,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen würde. Die gezielte Anbindung energieintensiver Betriebe im Hamburger Hafen unterstützt die Stadt auf dem Weg zur Klimaneutralität.
„Hamburger Zukunftsentscheid“
Im Oktober 2025 stimmten die Hamburger dafür, die Klimaneutralität der Stadt um fünf Jahre vorzuziehen, auf nun 2040. „Diese Entscheidung stellt die Hamburger Energienetze, aber auch Baufirmen und Handwerksbetriebe, vor große Herausforderungen“, sagt Bernd Eiltz, Sprecher der Hamburger Energienetze. Jetzt gelte es, alle Möglichkeiten auszuloten, durch die das ohnehin schon hohe Tempo beim Netzausbau noch erhöht werden kann.
Wenn die Haushalte ab 2040 auf Erdgas-Heizungen verzichten sollen, müsse bis dahin die Strominfrastruktur so ausgebaut werden, dass elektrische Wärmepumpen überall dort eingesetzt werden können, wo kein Anschluss ans Fernwärmenetz möglich ist. Auf HH-WIN hat der Volksentscheid wegen der ohnehin früheren Inbetriebnahme hingegen keinen Einfluss.
Europäische Integration
Das Hamburger Industrienetz gehört ebenfalls zu den Ipcei-Projekten der Europäischen Union und wird an das deutsche Wasserstoff-Kernnetz und an den European Hydrogen Backbone angeschlossen. Damit kann Hamburg das grüne Gas sowohl in das Kernnetz einspeisen als auch daraus beziehen. Die europäische Integration erleichtert zudem den Im- und Export aus bzw. nach Nord- und Südeuropa und stärkt insgesamt die Versorgungssicherheit auf dem Kontinent.
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Kapazitätsreservierungen in Vorbereitung
Industriekunden könen ab Anfang 2026 die benötigten Kapazitäten für ihren künftigen Anschluss reservieren und damit Planungssicherheit erhalten. Für Reservierungsverträge fällt eine Gebühr an, die später mit dem zu zahlenden Kernnetzentgelt für die tatsächliche Kapazitätsbuchung verrechnet wird.