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Infrastruktur

Europas Tor zum Wasserstoff

Text: Monika Rößiger

Nur wenige hundert Meter vom feinsandigen Nordseestrand mit seiner imposanten Dünenlandschaft entfernt, entsteht die mit 200 Megawatt derzeit größte Wasserstoff-Fabrik Europas: Holland Hydrogen 1 (HH1). Sie befindet sich in einer grauen Halle auf dem Gelände von Shell, das 42 Kilometer westlich von Rotterdam auf der künstlichen Insel Maasvlakte liegt. In der Halle errichtet Thyssenkrupp ­Nucera eine Elektrolyse-Anlage aus 20 Modulen à 10 Megawatt.

Um dort hinzugelangen, sind die rund 80 Vertreter der Wasserstoffbranche, allesamt Teilnehmer des Weltwasserstoffgipels, gut dreieinhalb Stunden mit einem Schiff vom Stadtzentrum Rotterdams gefahren – allein daran könnte man schon ermessen, dass es sich um den größten Hafen Europas handelt. Der Superlativ bezieht sich allerdings auf den Güterumschlag. Rund 120.000 Schiffe laufen ihn jährlich an, und zugleich ist er ein riesiges Industriegebiet mit mehr als 3.000 Unternehmen. 2,9 Prozent des niederländischen Bruttoinlandproduktes werden dort erwirtschaftet.

Insbesondere Erdölraffinerien, Gas- und Chemiebetriebe sind hier vertreten, denn außer dem Handel dient Rotterdam vor allem als Energiehafen. Vier Raffinerien zur Rohölverarbeitung gibt es hier, 45 petrochemische Unternehmen, vier Pflanzenöl-Raffinerien und drei Anlagen für Biokraftstoffe. Damit beherbergt Rotterdam bereits jetzt das größte Cluster für Biokraftstoffe in Europa.

Nordrhein-Westfalen profitiert direkt von Rotterdams H2-Plänen „Dreizehn Prozent des gesamten Energieverbrauchs der Europäischen Union passieren den Hafen von Rotterdam,“ sagt Erik van der Heijden, Business Manager für Energie und Infrastruktur bei der Hafenbehörde. „Und der größte Teil davon geht nach Deutschland. Noch ist das alles hauptsächlich fossile Energie, aber das werden wir ändern.“

Das gilt auch für die 0,5 Mio Tonnen Wasserstoff, die hier jährlich produziert werden. Rotterdam arbeitet mit verschiedenen Partnern an einem großflächigen H2-Netz, das den Standort als internationale Drehscheibe für Produktion, Import, Nutzung und Transport von Wasserstoff in andere Länder Nordwesteuropas etablieren soll. Die H2-Pipelines werden zum größten Teil aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen. Ab 2030 ist eine Verbindung mit dem Chemiestandort Chemelot im nordrhein-westfälischen Limburg sowie weiteren Regionen in Europa geplant. Neben Pipelines werden auch Schiffe und Züge für den Wasserstoff-Transport eingesetzt, um künftige Abnehmer zu versorgen.

Die Hafenverwaltung gründet ihre H2-Strategie auf mehrere Säulen. Strom aus Offshore-Windparks in der Nordsee soll über neue elektrische Leitungen mehrere Elektrolyseure versorgen, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Blauer Wasserstoff wird jetzt schon im Hafen hergestellt. Das bei Produktion aus Erdgas anfallende CO2 soll künftig abgeschieden und im Rahmen des Porthos-Projektes unter der Nordsee gespeichert werden.

Porthos-Projekt für CCS Zudem plant Rotterdam den Import von weltweit produziertem Wasserstoff über neue Terminals. Abnehmer des emissionsarmen Gases ist vor allem die Industrie: etwa für die Produktion von Kraftstoffen, Düngemitteln, Stahl und Chemikalien. Auch der Mobilitätssektor hat großen Bedarf an Wasserstoff, um daraus Treibstoffe für die Schifffahrt, Luftfahrt und Lkw herzustellen. Außerdem soll er für die Rückverstromung und als Grundstoff in industriellen Prozessen genutzt werden.

Die Hafenbehörde will ihren eigenen Verwaltungsbereich dekarbonisieren und bis 2050 klimaneutral werden. Dabei setzt sie auf grünen und „kohlenstoffarmen“ Wasserstoff, also blauen und türkisen sowie H2-Derivate, hauptsächlich Ammoniak und Methanol. Die Abscheidung von Kohlenstoffdioxid durch CCS (Carbon Capture and Storage) war von Anfang an eingeplant. Die Leitungen für CO2 sind schon im Bau, genau wie die neuen für Wasserstoff: Sie werden gleichzeitig und streckenweise parallel verlegt. Die an Land etwa 30 Kilo­meter lange Kohlendioxid-Pipeline führt bis in die Nordsee, wo das Klimagas 20 Kilometer vor der Küste in einem ausgeförderten Gasfeld gespeichert werden soll.

Als eine Art „Pipeline-Mikado“ bezeichnet Wouter van Betuw vom Gasversorger ­Gasunie scherzhaft die Bauarbeiten, um gleich hinzufügen, dass es sich natürlich um eine ernsthafte Angelegenheit handelt: Denn, um neue Leitungen zu verlegen, stoßen die Mitarbeiter des Hydrogen Network Netherlands bei den Erdgrabungen im Hafen immer wieder auf Bestandsleitungen, etwa für Gas, Wasser und Strom. Da ist größte Vorsicht geboten. Im kommenden Jahr soll der erste Abschnitt des Wasserstoffnetzes betriebsbereit sein. Es wird auch an das europäische Wasserstoffnetz angebunden und über dieses auch mit dem deutschen Wasserstoffkernnetz verbunden sein.

Was die Terminal-Anlagen für den Import und die Verarbeitung von Wasserstoff und seinen Derivaten angeht, geht die Hafenverwaltung sehr pragmatisch vor. „Wir haben verschiedene Wasserstoffträger untersucht. Jeder hat seine eigenen Vor- und Nachteile“, sagt ein Vertreter der Hafenbehörde. „Deshalb haben wir uns entschieden, auf alle zu setzen.“ So werden nun Anlagen gebaut, um den Wasserstoff in Form von Ammoniak, Methanol, flüssig oder an Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC) gebunden anlanden zu können. Insgesamt 14 Terminals sollen es werden; fünf davon sind schon im Betrieb, darunter einer für Ammoniak. Dass im April 2025 die erste Übertragung von kaltem Ammoniak von Schiff zu Schiff gelungen ist, erfüllt alle Beteiligten mit Stolz.

Power2X und Advario, spezialisiert auf die Speicherung von Chemikalien, Gasen und Treibstoffen, entwickeln eine großskalige Produktions- und Lageranlage für nachhaltigen Flugkraftstoff (e-SAF), der auf grünem Wasserstoff bzw. e-Methanol basiert. Air Products, ein großer Anbieter von Wasserstoff und anderen Industriegasen, baut seit 2024 am bestehenden Produktionsort in Rotterdam Europas größte Anlage für blauen Wasserstoff. Sie soll ab 2026 unter anderem die Rotterdamer Raffinerie von Exxon Mobil beliefern. Die Anlage wird mit Porthos verbunden sein.

Mindestens 2 GW-Elektrolyse-Kapazität Bis 2032 sollen Offshore-Windparks auf der Nordsee mit einer Leistung von insgesamt 7,4 Gigawatt an Rotterdam angebunden sein. Die Elektrolyse-Kapazitäten sollen ab Anfang der dreißiger Jahre auf der Maasvlake-Insel auf zwei bis zweieinhalb Gigawatt steigen. Noch ambitionierter ist die Vision für 2050, wenn die Niederlande laut Plan 70 Gigawatt an Windenergie in der Nordsee installiert haben will. Die Kombination von Windenergie an Land und auf See jeweils mit Elektrolyse-Anlagen soll eine H2-Erzeugungsleistung von 20 Gigawatt ermöglichen. Auf der Importseite kalkuliert Rotterdam um 2030 mit 0,1 bis 1,7 Millionen Tonnen Wasserstoff und Derivaten, die über seinen Hafen nach Europa gelangen; und ab 2050 mit 18 Millionen Tonnen. Noch in diesem Jahr wird mit ersten Wasserstoff-Einfuhren gerechnet.

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