Springe zum Hauptinhalt Skip to main navigation Skip to site search
Aqua Ventus

Die Nordsee als Wasserstoff-Quelle für Europa

Text: Monika Rößiger

„Überbauung ist gut, aber Sektorenkopplung auf See ist besser. Die Ausbaukosten können durch hybride Anschlusskonzepte wirkungsvoller gesenkt werden.“

Die Initiative Aqua Ventus (AV) verfolgt das Ziel, eine Offshore-Erzeugungskapazität von 10 Gigawatt (GW) für grünen Wasserstoff in der Nordsee aufzubauen. Um dieses Großprojekt entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung – zu realisieren, haben sich mehr als hundert Unternehmen, Verbände und Forschungsinstitute zusammengeschlossen. Sie stammen aus verschiedenen Bereichen, von der Gas- und Offshore-Windindustrie über die Wasserstoffproduktion bis hin zur maritimen Logistik.

Das AV-Konsortium versteht sich als industriegetriebene Plattform zur Entwicklung und Skalierung der H2-Erzeugung auf dem Meer. Sie umfasst mehrere Teilprojekte, darunter auch Infrastrukturvorhaben wie Aqua Ductus, das eine Wasserstoffpipeline von der Nordsee nach Deutschland vorsieht. Außerdem:

Aqua Primus: Pilotanlagen zur Offshore-Elektrolyse

Aqua Campus: Aus- und ­Weiterbildung für Fachkräfte

Aqua Navis: Entwicklung ­wasserstoffbetriebener Schiffe für den Offshore-Einsatz

SEN-1: Pionierprojekte zur ­Erprobung von Technologien unter realen Bedingungen

Ausbauziele für Offshore-Wind und Elektrolyse

Deutschland plant bis 2030 eine Offshore-Windleistung von 30 Gigawatt (GW). Bis 2040 sollen es 50 GW und bis 2045 schließlich 70 GW sein. Parallel dazu ist ein Ausbau der Elektrolysekapazität auf 10 GW bis 2030 vorgesehen. Unabhängig von diesen politischen Zielen steht die Diskussion um Overplanting und Offshore-Elektrolyse im Kontext der Frage, wie diese Ziele kosteneffizient erreicht werden können.

Die Nordsee als Ökokraftwerk für ­Europa

Durch internationale Vernetzung mit ähnlichen Initiativen in Nachbarstaaten soll laut Aqua Ventus eine europäische Wasserstoffwirtschaft im gesamten Nordsee-Raum entstehen. Dies würde erheblich zur Versorgungssicherheit in Europa, industrieller Wettbewerbsfähigkeit und zum Klimaschutz beitragen. Die von ihr nun veröffentlichte Analyse des europäischen Beratungsunternehmens Frontier Economics steht im Zusammenhang mit dem aktuellen Flächenentwicklungsplan (FEP). Das dafür zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) stellt darin eine mögliche Überbauung von Offshore-Windparks in den Zonen 4 und 5 der deutschen Nordsee zur Diskussion. Diese Zonen liegen mehr als 300 Kilomenter von der Küste entfernt und werden als „Entenschnabel“ ­bezeichnet.

Aktuelle Diskussion um Überbauung

Konkret geht es um die Frage, ob die installierte Leistung der Windparks die Kapazität der Stromkabel zur Küste übersteigen darf. Dieses sogenannte „Overplanting“ würde bedeuten, dass bei Stromspitzen nicht die gesamte erzeugte Energie übertragen werden kann. Da die Spitzenleistung allerdings nur selten erreicht wird und durch Überbauung größere Strommengen per Kabel transportiert werden können, sänken dadurch die Kosten für die Netzanbindung.

Im Fokus der Untersuchung von Frontier Economics stehen zwei Szenarien: ein Ausbau auf 70 Gigawatt (GW) entsprechend dem gesetzlichen Ziel sowie ein konservativeres Szenario mit 55 GW. Für beide wurden verschiedene technische Konfigurationen untersucht: ein Basisszenario mit gleich dimensionierten Windturbinen und Stromkabeln und Onshore-Elektrolyse, ein Überbauungsszenario mit mehr Turbinenleistung als Kabelkapazität und ebenfalls Onshore-Elektrolyse und drittens eine Offshore-Sektor-Kopplung mit Überbauung, Offshore-Elektrolyse und Wasserstoffpipelines. Die Ergebnisse zeigen: Letzteres senkt die Netzintegrationkosten am stärksten.

Offshore-Sektor-Kopplung spart bis zu 1,7 Milliarden Euro jährlich

„Die Kombination aus Offshore-Wasserstoffproduktion und einem hybriden Leitungssystem für Strom und Wasserstoff führt in allen untersuchten Szenarien zu den niedrigsten Systemkosten“, erläutert Robert Seehawer, Geschäftsführer von AquaVentus. „Im Vergleich zum Energietransport ausschließlich per Stromleitung lassen sich beim 70 GW-Ausbaupfad rund 1,7 Mrd. € im Jahr einsparen und 0,5 Mrd. € jährlich im 55 GW-Szenario.“ Eine elektrische Überbauung in Verbindung mit Onshore-Elektrolyse hingegen würde die Kosten laut Modellierung lediglich um 0,7 bzw. 0,1 Mrd. € pro Jahr reduzieren.

Effizientere Nutzung der Infrastruktur ­minimiert Systemkosten

Grundsätzlich ist es günstiger, auf dem Meer fernab von der Küste erzeugten Grünstrom in Form von Wasserstoff per Pipeline an Land zu transportieren als per Hochspannungsübertragung. Das hatte eine Analyse der Beratungsgesellschaft E-Bridge im Jahr 2024 gezeigt. ­Allein dadurch sänken die Ausbaukosten für Energie von der Nordsee über einen 25jährigen Zeithorizont um 31 Mrd. €.

„Die Studie hat gezeigt, dass Overplanting gut ist, aber Sektorenkopplung auf See besser. Damit meine ich, dass die Ausbaukosten durch hybride Anschlusskonzepte wirkungsvoller gesenkt werden können,“ so Seehawer. Am effektivsten sei es jedoch, beide Maßnahmen in Erwägung zu ziehen.

Deshalb lohne sich auch das Modell der Offshore-Elektrolyse, obwohl die Investitionen dafür höher sind als bei einer Elektrolyse an Land. Die Option, Strom oder Wasserstoff je nach Marktpreis flexibel zu nutzen, steigert im Betrieb jedoch die Erträge. Offshore Windparkbetreiber produzieren Strom und Wasserstoff dann marktintegriert und gewinnmaximierend. Obendrein sinken beim Stromtransport auf dem Festland die Verluste durch Abregelung, die sonst durch Redispatch mit fossilen Kraftwerken ausgeglichen werden müssen – was sehr teuer ist.

Robert Seehawer (links) moderiert auf „Hydrogen Technology World Expo“ eine Podiumsdiskussion über H2-Erzeugung auf der Nordsee.

© Monika Rößiger

Robert Seehawer (links) moderiert auf „Hydrogen Technology World Expo“ eine Podiumsdiskussion über H2-Erzeugung auf der Nordsee.

Robust gegenüber Preis- und Technologierisiken

Die Vorteile der Offshore-Sektor-Kopplung bleiben auch bei veränderten Preis- und Modellannahmen bestehen, lautet ein weiteres Resultat von Frontier Economics. Selbst wenn Offshore-Elektrolyseure doppelt so teuer wären wie ihre Pendants an Land, rentiere sich diese Konfiguration. Und auch schwankende Strompreise von ±20 Prozent oder unterschiedliche Elektrolyseurkapazitäten würden laut der Analyse nichts an den wirtschaftlichen Vorteilen dieses Konzepts ändern. Diese ließen sich darüber hinaus noch optimieren, wenn man die Projektlaufzeit von 25 auf 35 Jahre verlängerte. Laut Frontier Economics könnte man dadurch die Systemkosten um rund weitere sieben Prozent senken.

Rechtliche und planerische Anpassungen notwendig

„Um das Potenzial der Offshore-Sektor-Kopplung zu heben, muss jedoch die Regulatorik angepasst werden“, sagt Robert Seehawer. „Dazu gehört vor allem eine Änderung im Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG), so dass Offshore-Elektrolyse mit Overplanting verbunden werden kann.“ Bisher gilt das Entweder-oder-Prinzip: Das BSH schreibt den Betreibern von Offshore-Windparks vor, ob sie sich an eine Strom- oder Wasserstoffleitung anschließen. Kombinierte Netzanschlüsse sind bislang nicht möglich. Dabei ergäben sich daraus deutliche Synergiepotenziale: Der Netzausbau könnte entsprechend kleiner und kostengünstiger ausfallen und auch schneller umgesetzt werden.

Aqua Ventus schlägt vor, die Offshore-Elektrolyse gesetzlich gleich­gestellt zu behandeln und Offshore-Wind-Entwicklern im Flächenentwicklungsplan (FEP) die Möglichkeit einzuräumen, durch eine kombinierte Strom- und Wasserstoffproduktion volkswirtschaftliche Systemkosten zu senken und eigene Erträge zu steigern.

Neben den Vorteilen für Wirtschaft und Resilienz, die der Bau einer Pipeline verglichen mit Stromleitungen in der Nordsee hätte, wäre da nicht zuletzt der Naturschutz zu nennen. In den seit langem übernutzen Lebensraum der Nordsee würden so weniger Eingriffe in die Meeresumwelt notwendig. Wünschenwert ist das auf jedem Fall: Schließlich gilt das gesamte europäische Wattenmeer von Dänemark über Deutschland bis in die Niederlande als Naturerbe der Menschheit.

AUSBAUZIELE FÜR OFFSHORE-WIND UND ELEKTROLYSE

Deutschland plant bis 2030 eine Offshore-Windleistung von 30 Gigawatt (GW). Bis 2040 sollen es 50 GW und bis 2045 schließlich 70 GW sein. Parallel dazu ist ein Ausbau der Elektrolysekapazität auf 10 GW bis 2030 vorgesehen. Unabhängig von diesen politischen Zielen steht die Diskussion um Overplanting und Offshore-Elektrolyse im Kontext der Frage, wie diese Ziele kosteneffizient erreicht werden können.

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ HZwei E-Paper-Ausgabe – 5 Ausgaben im Jahr
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
 

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen