Der Schwerlastverkehr gehört zu den größten Verursachern von CO2-Emissionen in der EU. Daher sollen ab 2030 nach den Vorgaben der EU ein Drittel aller neu zugelassenen Lastwagen mit Elektroantrieb oder Brennstoffzelle ausgestattet sein. Die EU-Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) sieht ab 2030 entlang des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) alle 200 Kilometer eine Wasserstofftankstelle vor. Auch an jedem städtischen Knoten soll mindestens eine öffentlich zugängliche Wasserstofftankstelle zur Verfügung stehen. An Plänen mangelt es also nicht. Doch um breit akzeptiert zu werden, muss die Wasserstoffbetankung genauso benutzerfreundlich sein wie die herkömmliche Betankung mit Benzin und Diesel.
Hohe Drücke erfordern Expertise Die meisten aktuellen Brennstoffzellenfahrzeuge verwenden Hochdruckbehälter mit Nennbetriebsdrücken von 350 oder 700 bar. Das Betanken von Fahrzeugen mit einem explosiven Gas und bei derart hohem Speicherdruck erfordert hohe Sicherheitsstandards.
Um die Herausforderungen zu verstehen, muss man sich einige Grundlagen zu Wasserstofftankstellen vor Augen führen. Der gelieferte Wasserstoff wird in Niederdruck-H2-Behältern gelagert. Mithilfe eines Kompressionssystems wird der Wasserstoff auf einen bestimmten Druck verdichtet. Der verdichtete Wasserstoff wird in einem Hochdruckbehälter vorgehalten, aus dem bei großer Druckdifferenz mit einer hohen Geschwindigkeit in den Fahrzeugwasserstoffbehälter fließt. Wasserstoff hat bei Umgebungstemperatur einen negativen Joule-Thomson-Effekt. Das bedeutet, dass er sich im Gegensatz zu den die meisten Gase bei Druckabfall nicht abkühlt, sondern erwärmt. Um ein Überhitzen zu vermeiden, wird er daher auf –40 °C heruntergekühlt, bevor er über einen Dispenser in das Brennstofffzellenfahrzeug abgegeben wird. „Die Herausforderung bei der Wasserstoffbetankung besteht darin, den Druck exakt zu regeln und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Temperatur des Wasserstoffs im sicheren, vorgegebenen Bereich bleibt. Dies ist entscheidend, um sowohl die Effizienz als auch die Sicherheit zu gewährleisten“, unterstreicht Lukas Rainer.
Eine entscheidende Vorschrift für eine schnelle und sichere Betankung ist die Norm SAE J2601, die von der American Society of Automative Engineers (SAE) definiert wurde. Diese Norm gibt Höchstwerte für den Druck beim Befüllen des fahrzeugseitigen Hochdruckbehälters und die Wasserstofftemperatur vor. Die Einhaltung dieser Parameter verhindert thermische Zersetzung, Verformung und Rissbildung des Speichermaterials und ist somit für die Sicherheit der Tankvorgänge essenziell.
Zubau von Tankstellen Das 2019 gegründete Unternehmen Maximator Hydrogen mit Sitz in Nordhausen will bis Ende 2025 mehr als 80 Wasserstofftankstellen weltweit errichten. In der Schweiz stammen 17 von 18 Wasserstofftankstellen von Maximator Hydrogen. „Wasserstoff kann die Mobilitätswende vorantreiben – und wir entwickeln die Infrastruktur, die dafür nötig ist“, erklärt Lukas Rainer, verantwortlich für die Entwicklung einer neuen Generation von Dispensern bei Maximator Hydrogen.
Für seine Lösungen bindet das Unternehmen deshalb auch das Wissen und die Erfahrungen von Wika ein, dem weltweit führenden Anbieter für Sensorik-Lösungen in der Druck- und Temperaturmesstechnik. Ein Beispiel ist die Verwendung des Hochdruck-Thermoelements TC90 von Wika im Max Dispenser 1.5, einer technisch ausgefeilten „Zapfsäule“ für das Befüllen von Wasserstoff-Fahrzeugen gemäß der Betankungsnorm SAE J2601.
Temperaturüberwachung ist ein Muss Laut SAE J2601 darf die Temperatur des Wasserstoffs am Anfang des Betankungsvorgang den Minimalwert von –40 °C unterschreiten. Die Maximaltemperatur für Wasserstoff-Fahrzeugtanks beträgt +85 °C. Die präzise Überwachung der Temperatur verhindert eine Überhitzung des Tanks und schützt das System vor Schäden, die theoretisch zu einem Gasaustritt führen können. Damit das nicht passiert, bremst das System den Tankvorgang ab, wenn die Temperatur zu hoch wird.
Und noch einen weiteren Vorteil bietet die Temperaturüberwachung beziehungsweise -regelung: „Sie ermöglicht es uns, die Betankungsperformance zu optimieren“, erklärt Lukas Rainer. „Solange der Wasserstoff kalt genug ist, können wir die Befüllgeschwindigkeit hoch halten.“
Exakte Temperaturdaten reduzieren Kosten für Betreiber Die Temperaturmessung hilft auch bei der genauen Bestimmung des „Totvolumens“ im Schlauch, das nach dem Tankvorgang entlastet wird und damit verloren geht. Da diese Verluste keinesfalls dem Kunden berechnet werden dürfen, muss der Betreiber konservativ rechnen und Ungenauigkeiten zu seinen Lasten verbuchen. Durch die Kenntnis von Druck, Temperatur und Volumen der Rohrleitungen kann exakt berechnet werden, wie viel Wasserstoff nicht ins Fahrzeug übertragen wurde. Dies ermöglicht eine präzisere Abrechnung und verhindert unnötige Mehrkosten für den Betreiber der Wasserstofftankstelle.
Im Max Dispenser 1.5 überwacht das Hochdruck-Thermoelement TC90 von Wika die Temperatur. Ein Thermoelement besteht aus zwei unterschiedlichen Metalllegierungen, die an einem Punkt verbunden sind. Durch den thermoelektrischen Effekt entsteht eine Spannung, die temperaturabhängig ist. In Wasserstofftankstellen werden Thermoelemente eingesetzt, da diese gegenüber pt100 Sensoren druck- und vibrationsbeständig sind und schnell auf Temperaturänderungen reagieren.
Um die Bauteile innerhalb der zulässigen Spezifikationen zu betreiben und bei Abweichungen zunächst die Kühlung im Dispenser nachzuregulieren und notfalls die Wasserstoffzufuhr zu unterbrechen, wird die Temperatur an zwei Punkten präzise überwacht. An der Eingangsseite des Dispensers wird die Temperatur des eintretenden Wasserstoffs erfasst. An der Ausgangsbaugruppe des Dispensers wird die Befüllungstemperatur redundant mit zwei TC90-Sensoren überwacht, um sicherzustellen, dass sie gemäß SAE J2601 zwischen –40 °C und –17,5 °C bleibt.
Zusätzlich werden die Temperaturdaten dieses Messpunkts genutzt, um die exakte Entlastungsmenge zu berechnen, wie oben beschrieben. Die dafür notwendige DAkks-Zertifizierung, die die eichrechtskonforme Kalibrierung des Messgerätes nachweist, erhielt Lukas Rainer für den TC90 von externer Seite.

Wika
Hochdruck-Thermoelement TC90 „Der Wika TC90 passt perfekt zu unseren Anforderungen“, erläutert Lukas Rainer, der das Thermoelement bereits im Vorläufermodell des MAX Dispensers 1.5 verbaute. Dass das Thermoelement TC90 die hohen Anforderungen von Maximator Hydrogen erfüllt, überzeugte auch Maik Wenderott, Strategischer Einkäufer bei Maximator Hydrogen. „Drei entscheidende Faktoren sprachen für die Wahl des Wika TC90: seine Druckfestigkeit bis mindestens 1034 bar, die kurze Reaktionszeit und das ATEX-Zertifikat, das den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen ermöglicht.“
Präziser beschreiben Rainer und Wenderott die Vorteile so: Das TC90 ist kompakt und für Messaufgaben in kleinen Rohrnennweiten konzipiert. Die Ausführung mit spezieller Hochdruckverschraubung gibt dem TC90 die notwendige Festigkeit und hält die Messstelle zuverlässig dicht. Der TC90 ist so robust, dass kein Schutzrohr notwendig ist. Seine Fühlerspitze widersteht auch ungeschützt den bei Wasserstofftankstellen auftretenden Drücken bis 1034 bar. Alle medienberührten Bauteile sind aus H2-kompatiblen Werkstoffen gefertigt. Durch den unmittelbaren Medienkontakt des Fühlers werden kurze Ansprechzeiten im niedrigen Sekundenbereich gewährleistet, was ein schnelles Nachregeln der Kühlung ermöglicht. Hinzu kommt die besagte ATEX-Zertifizierung.
Rainer lobt auch die maßgeschneiderten Lösungen von Wika, zum Beispiel eine Sonderlänge des Fühlers. Besonders wichtig war Rainer, dass für den Einsatz des Thermoelements kein Adapter erforderlich ist. Das vermeidet zusätzliche potenzielle Leckagestellen vermieden werden.
Was die Zukunft der Wasserstoff-Mobilität angeht, zeigt sich Rainer optimistisch: „Die Branche verlässt derzeit das Valley of Death und steht vor einem konstanten Aufwärtstrend.“ Neben den Vorgaben gibt es von der EU derzeit auch 422 Mio. Euro Förderung für Projekte, die die Tank- und Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe vorantreiben – darunter 35 Wasserstofftankstellen für Lkw, Busse und Pkw. Daneben tragen auch technologische Weiterentwicklungen zur Etablierung der Wasserstofftechnologie bei. Betreiber von Wasserstofftankstellen erhalten von Maximator Hydrogen beispielsweise wertvolle Daten zur Optimierung ihrer Prozesse.
Was die Betankungszeit betrifft, kann Wasserstoff dank moderner Dispenser und Sensoren bereits mit Diesel und Benzin mithalten. Beim Preis lag man vor der Corona-Pandemie zumindest in der Nähe des Diesels. Rainer ist sich sicher: „Mittelfristig wird Wasserstoff mit Diesel konkurrieren und dazu beitragen, auch den Verkehr emissionsfrei zu machen.“