„Das alles passiert jetzt“, war ein häufig gehörter Satz im Rotterdamer Veranstaltungszentrum „Ahoy“; freilich in seiner englischen Version. Das, was beinahe als inoffizielles Motto des Weltwasserstoffgipfels hätte gelten können, klang wie ein Mantra zur Selbstvergewisserung – mit einer gehörigen Portion Trotz. Viele Wasserstoffprojekte seien bereits in der Umsetzungsphase, also im Bau. Andere allerdings verzögern sich oder werden storniert, nicht zuletzt aufgrund ungünstiger Regulatorik. Welche Fortschritte die Gastgeberstadt selbst zu bieten hat, davon konnten sich Gipfel-Teilnehmer während eines Tagesausflugs durch den Hafen von Rotterdam mit eigenen Augen überzeugen – gut 40 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, in dem der Nordsee durch Sandaufschüttungen abgerungenem Hafen- und Industriegebiet Maasvlakte. Dort errichtet zum Beispiel Thyssenkrupp Nucera derzeit für Shell einen 200-MW-Elektrolyseur. Auf dem Wasserstoffgipfel wies CEO Werner Ponikwar in seiner Keynote darauf hin, dass bereits heute 100 Millionen Tonnen fossiler Wasserstoff produziert werden, die dekarbonisiert werden müssten. „Selbst ohne zusätzliche Anwendungen würde der Ersatz durch grünen Wasserstoff 1.000 Gigawatt an Elektrolyseuren erfordern.“ Und das sei nur das absolute Minimum, weil zusätzlicher Bedarf mehr erfordern würde. Auch wenn einige Elektrolyseprojekte derzeit heraus geschoben oder gestrichen würden, so Ponikwar, zeige ein Realitätscheck das immense Potenzial der Elektrolyse.
H2Brazil erschließt Brasiliens Potenzial mit Milliarden-Investition
Was andere Weltgegenden in Sachen Wasserstoff vorhaben, dazu hier eine kleine Auswahl: Während des World Hydrogen Summit unterzeichnete H2Brazil strategische Vereinbarungen für zwei Großprojekte, die das Land an die Spitze der Energiewende katapultieren könnten. So plant Brasilien, das zu den spannendsten H2-Märkten der Zukunft zählt, seine erste großtechnische Produktionsanlage für grünen Wasserstoff in Uberaba gleich mit einer Gesamtkapazität von 820 Megawatt bis 2030. Ob das realistisch ist, sei dahin gestellt. Mit einem Investitionsvolumen von 1,24 Milliarden Euro handele es sich um die größte private Investition in der Region. Das Projekt könnte rund 1.000 direkte Arbeitsplätze schaffen. Ein zweites Großprojekt soll im Hafen von Açu entstehen. Die beiden Projekte in der Sonderwirtschaftszone ZPE Uberaba (Bundesstaat Minas Gerais) und im Hafen von Açu (Rio de Janeiro) sollen erheblich dazu beitragen, dass Brasilien sich als globale Drehscheibe für grünen Wasserstoff etablieren kann.
"Mit einem Überfluss an erneuerbarer Energie und einem Stromnetz, das international als 100 Prozent grün anerkannt ist, können wir grünen Wasserstoff und Derivate wie Ammoniak zu global wettbewerbsfähigen Preisen produzieren“, erklärte Pedro Caçorino, CEO von H2Brazil. „Deshalb ist Brasilien einer der attraktivsten Märkte für die Energiewende – und deshalb haben wir uns verpflichtet, hier langfristig zu investieren.“ Mit den Flaggschiff-Anlagen in Uberaba und im Hafen von Açu baut das H2Brazil eine skalierbare Plattform für die Produktion von grünem Wasserstoff und Ammoniak in Lateinamerika auf.
Von Nordamerika nach Europa: Kanada will führender Wasserstoff-Exporteur werden
Als zuverlässiger Partner für die Energiewende in Europa bringt sich Kanada in Position: Mit staatlichen Anreizen von bis zu 40 Prozent für sauberen Wasserstoff wirbt das nordamerikanische Land in Rotterdam um weitere Wasserstoff-Partnerschaften. Besonders die Regionen Atlantik-Kanada und Québec verfügen über reichlich Wind- und Solarenergie, die für neue grüne Wasserstoffprojekte genutzt werden können. Für den Export nach Europa bietet Kanada die kürzesten Hafen-zu-Hafen-Verbindungen zwischen Nordamerika und Europa sowie 15 Freihandelsabkommen, darunter das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA zwischen Kanada und der EU, das einen zollfreien Zugang zu allen EU-Ländern garantiert.
„Angesichts der anhaltenden Besorgnis über die Energiesicherheit und der Unstimmigkeiten im Welthandel zeichnet sich Kanada als stabiler, zuverlässiger und gleichgesinnter Partner aus, der bereit ist, Wasserstoffinvestitionen in unserem Land voranzutreiben", erklärte Laurel Broten, CEO von Invest in Canada. Das Land gehöre zu den Top 10 der globalen Wasserstoffproduzenten mit 100 Jahren Erfahrung in führenden Wasserstofftechnologien. Die schnell wachsende Industrie umfasse fast 200 wichtige Akteure entlang der gesamten Lieferkette. Allein in den letzten fünf Jahren wurden 80 neue Wasserstoffprojekte initiiert. Besonders die 2022 gegründete Wasserstoff-Allianz zwischen Kanada und Deutschland zeigt nach Ansicht der nationalen Invest-Agentur die wachsende Bedeutung solcher Partnerschaften.
Hydrom treibt Omans Wasserstoff-Ambitionen voran
Auch der Oman hat bekanntlich ehrgeizige Pläne zur Produktion von grünem Wasserstoff. In Rotterdam hat der Wüstenstaat seine dritte Auktionsrunde eröffnet. In dieser Runde werden bis zu 300 Quadratkilometern Land in Duqm angeboten, einem der wichtigsten Energie- und Logistikzentren im Oman. Entwickler können ihre Projektflächen ab einer Größe von 100 Quadratkilometern individuell gestalten. Zudem profitieren sie von einer neunmonatigen Vorbereitungszeit und der Möglichkeit, überschüssigen erneuerbaren Strom ins nationale Netz einzuspeisen – ein Schritt in Richtung integrierter Energiesysteme.
Hydrom, 2022 gegründet, hat bereits neun grüne Wasserstoffprojekte in Duqm und Dhofar vergeben, die Investitionszusagen von mehr als 50 Milliarden Dollar repräsentieren. Diese Projekte sollen bis 2030 jährlich fast 1,5 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren, angetrieben von knapp 35 GW erneuerbarer Energie. Parallel dazu hat Hydrom zehn Absichtserklärungen (MoU) unterzeichnet, um die Bereitschaft des Sektors entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu stärken. Diese Vereinbarungen umfassen zum Beispiel die Vorbereitung von Logistik und Transport sowie die Förderung inländischer Produktionskapazitäten.
Omans Wasserstoffprojekte ziehen führende globale Akteure an, darunter Shell, BP, Engie, DEME, Marubeni, J-Power, POSCO, ACME und Hyport Duqm. Diese Initiativen kombinieren erneuerbare Energien im Gigawatt-Bereich mit Entsalzung, Elektrolyse und der Ammoniakumwandlung für den Export. Hafenstädte wie Duqm und Salalah werden als Exporthubs mit integrierter Infrastruktur für grünes Ammoniak und zukünftig auch für flüssigen Wasserstoff entwickelt. Internationale Abkommen mit den Niederlanden, Belgien und Deutschland etablieren Wasserstoffkorridore nach Europa, während Partnerschaften mit Südkorea und Japan Routen nach Asien eröffnen.
Ebenfalls in Rotterdam unterzeichnet wurde eine Absichtserklärung zum Einrichten von „Wasserstoff-Korridoren“ quer durch Europa, die sich dank ihrer Tankstellendichte durchgängig mit H2-Lkw befahren lassen.
Zum Weiterlesen: Weitere Informationen zu Oman und dem Weltwasserstoff-Gipfel in Rotterdam finden Sie in der neuen HZwei-Ausgabe, die am 12. 6. erscheint.
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