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16. Februar 2023

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Herkulesaufgabe Öko-Zement

Mehr als vier Milliarden Tonnen Zement werden weltweit jedes Jahr hergestellt. Dabei setzt der Baustoff zwangsläufig große Mengen des im Kalk gebundenen Kohlenstoffdioxids frei. Zementhersteller wie CEMEX aus Mexiko stehen bei der Dekarbonisierung der Branche vor einer riesigen Herausforderung. Ein Flaschenhals für eine Entwicklung ist fehlender grüner Wasserstoff. Der Baustoffhersteller hat sich nun ambitionierte Ziele gesetzt. Der Standort in Rüdersdorf soll dabei als Blaupause dienen.

Bei der Herstellung von grünem Zement ist nicht nur die benötigte Energie das Problem, denn nur ein Drittel der CO2-Emissionen stammen aus dem Energiebedarf. Zwei Drittel sind systemimmanent. Das sind Emissionen, die im Rahmen der Zementproduktion selbst entstehen. Ein mit reiner Ökoenergie hergestellter Zement verursacht immer noch riesige Mengen CO2 beim Herstellungsprozess. Unternehmen und Forscher wollen das ändern.

Klimawende heißt auch Zementwende hin zu Öko-Zement. Daran arbeiten auch verschiedene Wissenschaftler, unter anderem am Schweizer EMPA-Institut, die auf einen CO2-negativen magnesiumbasierten Zement setzen. Auch der Baustoffhersteller CEMEX will seine Emissionen schnell reduzieren. Der Konzern setzt nach eigenen Angaben bereits 35 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 1990 frei, sagt Sergio Menendez. Er ist Präsident von CEMEX Europe, Middle East, Africa & Asia. Bis 2030 sollen es in Europa 55 Prozent weniger sein und bis 2050 will der Hersteller weltweit nur noch CO2-neutralen Beton produzieren.

Bislang würden grüne Produkte aber kaum nachgefragt, wendet CEMEX-Sprecherin Alexandra Decker ein. Der Konzern hat deshalb die Idee, Kohlenstoffdioxid aus Abgas abzuscheiden, zwischenzuspeichern und anschließend zusammen mit H2 in synthetischen Kraftstoff umzuwandeln. So entsteht ein Produkt, das planbar und zeitnah nachgefragt wird. „Auch deshalb wollen wir ausschließlich grünen Wasserstoff verwenden“, bestätigt Decker gegenüber HZwei.

CEMEX habe explizit den Standort in Rüdersdorf ausgewählt, um dort Elektrolyseure aufzubauen, die das dortige Werk mit Wasserstoff aus Ökostrom versorgen. Auf diese Weise werde zudem kein H2, das eventuell für andere Bereiche benötigt werde, vom Markt genommen. Der Bau dieser Anlage müsse 2025/26 anfangen, damit der Standort ab 2030 CO2-frei produzieren könne, erklärt Sprecherin Decker.

Das Konsortium Concrete Chemicals

Um nicht nur die Zementproduktion, sondern auch den Flugverkehr von CO2 zu befreien, haben drei Akteure das Projektkonsortium Concrete Chemicals gegründet: CEMEX mit 56.000 Mitarbeitern weltweit und eigenen Standorten in Deutschland, Sasol ecoFT, das zum Chemiekonzern Sasol gehört, sowie das uckermärkische Unternehmen Enertrag planen, einen nachhaltigen Flugkraftstoff herzustellen, der auch in der Zementherstellung einsetzbar ist. Dabei kommt ein Power-to-Liquid-Verfahren (PtL) zum Einsatz. CO2 und H2 werden in Synthesegas umgewandelt, ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und H2, das mithilfe des Fischer-Tropsch-Verfahrens in längerkettige Kohlenwasserstoffe umgewandelt wird, um E-Kerosin herzustellen.

Das Projekt in Rüdersdorf umfasst zwei Skalierungsstufen: Zunächst wird der Wasserstoff vor Ort mit Strom aus regionalen Anlagen für erneuerbare Energien hergestellt. So sollen in der ersten Phase jährlich 15.000 Tonnen E-Kerosin produziert werden. Dazu sollen in Rüdersdorf 100 Tonnen CO2 pro Tag abgetrennt, mit zwölf Tonnen H2 pro Tag kombiniert und für die PtL-Produktion genutzt werden. In der zweiten Stufe sollen dann größere H2-Mengen per Pipeline angeliefert werden.

Der grüne Wasserstoff wird im Rahmen des IPCEI-Projekts Elektrolyse-Korridor Ostdeutschland mit einer Kapazität von 210 MW erzeugt. So wird eine Produktion von 35.000 Tonnen E-Kerosin pro Jahr möglich. Auch bei diesem Projekt wird ausschließlich erneuerbarer Strom für die Produktion von 40 Tonnen grünem Wasserstoff pro Tag verwendet, erklärt das Konsortium. Daraus ergibt sich eine erhöhte CO2-Abscheidung um weitere 300 Tonnen täglich.

Der Verbund Doing Hydrogen

Concrete Chemicals ist ebenso wie der Elektrolyse-Korridor Ostdeutschland Teil des IPCEI-Verbundprojekts Doing Hydrogen. Bei diesem Pipelinebau von Rostock bis Sachsen werden alle Elemente einer H2-Wertschöpfungskette abgedeckt. Das so entstehende Transportsystem soll bis 2026 zu zwei Dritteln durch die Umstellung bestehender Erdgasinfrastruktur und zu einem Drittel durch Neubau ergänzender Wasserstoffleitungen gebildet werden. So wird ein Startnetz von insgesamt 475 Kilometern Länge entstehen, das Produktions- und Verbrauchspunkte in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin verbindet.

Das E-Kerosin soll dann auch für die Verwendung in Flugzeugen zertifiziert sein. Denn im Flugverkehrssektor sind auf absehbare Zeit keine alternativen Antriebe in Sichtweite. Durch das PtL-Verfahren können exakt die Spezifikationen des erdölbasierten Kerosins eingestellt werden. Es sind somit keinerlei Veränderungen an bestehenden Antriebstechnologien notwendig. Die drei Unternehmen wollen für den Flugkraftstoff die Kriterien der EU RED II erfüllen. Die vorgeschriebene Mindestbeimischungsquote für PtL-Kerosin kann so angerechnet werden.

Der Markt für E-Kerosin

Die ReFuelEU-Aviation-Verordnung stellt dabei einen ersten Schritt auf dem Weg zur Dekarbonisierung des Luftverkehrs dar. Gleichzeitig sichert sie die Abnahme von synthetischen Kraftstoffen wie auch E-Kerosin. Auf EU-Ebene sieht die Verordnung eine Unterquote für synthetische Kraftstoffe von 0,7 Prozent für das Jahr 2030 vor. Die Quote soll bis 2050 auf ein Minimum von 28 Prozent E-Fuels ansteigen. „Dadurch ist die Nachfrage planbar und gesichert“, erklärt Enertrag-Sprecher Matthias Philippi.

Darüber hinaus müssen im Rahmen der deutschen Beimischungsverordnung alle in Deutschland betankten Flugzeuge bereits ab 2026 immerhin 0,5 Prozent und ab 2030 2 Prozent PtL-Kerosin in den getankten Kraftstoff beimischen. Das soll den Anteil erneuerbarer Energie im Verkehrssektor bis 2030 auf 28 Prozent steigern.

Zementwerk Höver

Nicht nur CEMEX und Partner arbeiten daran, die Herkulesaufgabe Öko-Zement zu bewältigen. Im Zementwerk Höver unweit von Hannover erprobt auch die Firma Holcim eine innovative Technik, die den Baustoff dekarbonisieren soll. Zusammen mit den beiden Partnern Cool Planet Technologies, die auf die CO2-Abtrennung spezialisiert sind, sowie dem Helmholtz-Zentrum Hereon wurde eine CO2-Abscheideanlage installiert, die auf einer innovativen Membrantechnologie basiert. Es geht im ersten Schritt darum, praktische Erfahrungen mit der CO2-Abscheidung zu sammeln. Nach einigen Wochen Betrieb mit der Testanlage sind die ersten Ergebnisse sehr positiv. „Wir können eine gute Abscheiderate und vergleichsweise hohe Reinheiten beobachten“, frohlockt Stephan Hinrichs, Werksleiter bei Holcim.

Im August ist die nächste Phase des rund zweieinhalbjährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekts gestartet. Eine einjährige Testphase, bei der die Anlage im Langzeitbetrieb untersucht wird, soll im September nächsten Jahres beginnen. Falls die guten Ergebnisse bestätigt werden, wird die Anlage schrittweise weiter ausgebaut. In der finalen Ausbaustufe würden rund 90 Prozent der CO2-Emissionen abgetrennt. So entsteht sehr reines, flüssiges CO2, das gelagert oder weiterverarbeitet werden kann. Ziel des Holcim-Teams um Stephan Hinrichs ist es, die Wirtschaftlichkeit der Abscheidung auch im größeren Maßstab zu demonstrieren.

Carbon2Business setzt auf reinen Sauerstoff

Für das Projekt Carbon2Business in Lägerdorf hat Holcim bereits eine Zusage aus dem EU-Innovationsfonds erhalten. Gefördert wird der Bau einer neuen Ofenlinie im Zementwerk Lägerdorf an der Westküste Schleswig-Holsteins. Mit der sogenannten Oxyfuel-Technologie entsteht ein Prototyp, der im industriellen Maßstab die Dekarbonisierung der Zementproduktion beschleunigen soll. CO2 wird in Lägerdorf also zum Rohstoff für andere Industrien.

Statt der Umgebungsluft wird reiner Sauerstoff in den Verbrennungsprozess eingespeist. Der benötigte Sauerstoff fällt gleich bei der Elektrolyse mit Ökostrom ab. Beim Oxyfuel-Verfahren im Zementofen entsteht so reines CO2, das abgeschieden und anschließend durch Methanolsynthese zu Methanol verarbeitet wird. Damit wird am Standort der Ausstoß von ca. 1,2 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr vermieden. In Lägerdorf wie in Rüdersdorf hilft damit der grüne Kraftstoff als marktreifes Produkt, die Ökowende beim Zement zu forcieren.

Magnesiumbasierter Zement

Die Herstellung von Beton macht global etwa sechs Prozent der von Menschen verursachten CO2-Emissionen aus. Das wollen Forscher des Schweizer EMPA-Instituts nun ändern. Sie arbeiten derzeit an einem CO2-negativen Beton. Die Grundlage für den Öko-Beton liefert ein magnesiumbasierter Zement. Die Ressourcen für den Rohstoff liegen in Regionen, in denen magnesiumhaltiges Olivin im Boden vorkommt. Das Mineral findet sich vor allem tief im Erdmantel. Wird es aber durch vulkanische Aktivität an die Erdoberfläche transportiert, etwa in Norwegen, lässt es sich abbauen. Bei der Zementherstellung aus Olivin wird dem rohen Magnesiumsilikat das Kohlendioxid zugeführt. Da in einem weiteren Verarbeitungsschritt nur ein Teil des Materials gebrannt wird, entsteht beim Brennen des Zements weniger CO2 als vorher verbraucht wurde. Es ergibt sich unterm Strich also eine negative Bilanz. Das Ergebnis trägt den Namen MOMS. Das englische Kürzel steht für „Magnesium Oxide derived from Silicates“.

Während der Energiecluster Konferenz der WFBB erklärte Alexandra Decker, Cemex wolle bis 2027 ans Netz gehen. Cemex verfügt über Wärme bei 1.400 °C, die zukünftig die Stadt Rüdersdorf per Fernwärmenutzung versorgen sollen. „Wir als globales Unternehmen erkannt, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können. Die Pläne für die Fernwärme lagen in der Schublade und kommen jetzt raus, weil die Notwendigkeit da ist.“

Insgesamt vier Elektrolyseure (Rostock, usw.) sowie ein kleiner direkt bei Cemex sollen in das Startnetz einspeisen. (sg)

„Wir brauchen jetzt handfeste Projekte zum Anfassen”, erklärte Prof. Jörg Steinbach.

Autor: Niels Hendrik Petersen

Kategorien: 2023 | Allgemein
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