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Interview mit Jorgo Chatzimarkakis

„Wir haben zu viel Bad Governance in der EU!“

Interview: Monika Rößiger

HZwei: Was ist Ihr Eindruck nach den ersten beiden Messe-­Tagen – wie steht es um die wirtschaftlichen Perspektiven von Wasserstoff?

Jorgo Chatzimarkakis: Sehr spannend. Hier kommt ja ein Großteil der internationalen Wasserstoffwelt zusammen, darunter Koreaner, Japaner, Inder, Lateinamerikaner. Nur die Chinesen sind hier unterrepräsentiert. Was man auch sieht: Entgegen all der negativen Unkenrufe, die man immer so hört, werden die Projekte tatsächlich umgesetzt. Hätte man mir vor fünf Jahren, als wir die Wasserstoffstrategie gestartet haben, gesagt, dass dies 2025 alles konkret realisiert wird, hätte ich es wahrscheinlich selbst nicht geglaubt.

Das lässt immerhin hoffen. Nach dem Wasserstoff-Hype kam das Tal der Tränen. Geht es nach Ihrer Ansicht nun wieder aufwärts mit den grünen Molekülen?

Ja, es geht voran! Wir sind wieder in der energiepolitischen Wirklichkeit angekommen. Das sieht man an den funktionierenden Wasserstoffprojekten. Wäre das Thema jetzt noch unideologischer, pragmatischer, dann könnten wir jetzt ganz normal weiter machen – und da müssen wir hin.

Woran hakt es denn?

Zunächst die positiven Aspekte: Die EU-Mitgliedstaaten sind bei den ISO-Standards vorankommen, auch auf globaler Ebene. Diese Initiative wird von Deutschland, den Niederlanden und Frankreich sehr unterstützt. Das funktioniert also. Aber wenn es aber um Themen wie die Definition des Wasserstoffs geht, also den für Investoren wichtigen Regulationen und Gesetzen, da sind wir in Europa leider viel zu komplex.

Können Sie das näher ausführen?

Wenn das umgesetzt wird, wie es jetzt geplant ist, dann folgt daraus eine künstliche Verknappung des Wasserstoffs – obwohl er ja schon jetzt ausreichend verfügbar wäre. Wenn man etwas künstlich verknappt, steigt natürlich der Preis. Und deswegen müssen wir da hinkommen, sehr pragmatisch eine Entscheidung darüber zu treffen, in welchen Bereichen Wasserstoff effektiv dazu beitragen kann, CO2-Emissionen zu reduzieren.

Was kritisieren Sie besonders am Vorgehen der EU-Kommission?

Die EU-Kommission priorisiert eindeutig erneuerbare Elektrizität. Und das wird nirgends deutlicher als bei der Frage der Definition der Abnehmer: Wenn Sie ein Elektroauto fahren, dann gilt der Strom, den Sie benutzen, immer als grün. Egal, ob er aus Kohle kommt oder aus Öl, er ist immer grün. Doch wenn Sie eine Elektrolyse-Anlage betreiben, dann ist der Strom fast nie grün. Im Gegenteil, der wird mit tausend Auflagen versehen. Das leuchtet überhaupt nicht ein! Warum legt man nicht die gleichen Regeln sowohl für Strom als auch für Öl und Gas fest?

„Wenn der Maschinenraum nicht das macht, was die politische Führung sagt und die politische Führung keine Kontrolle hat, dann sind wir verloren!“

Schon in Ihrer Keynote zu Beginn des Wasserstoffgipfels haben Sie diese Regulatorik sehr deutlich verurteilt. An einigen Messeständen habe ich von Unternehmern dafür großes Lob gehört.

Ja, da habe ich offene Worte gewählt, auch in Bezug auf die EU-Kommission. Zwar nicht auf die politische Führung, die ja eindeutige Klimaziele festgelegt hat. Aber bei der Umsetzung, da sind dann viel zu viele Theoretiker unterwegs, die es vielleicht gut meinen, aber am Ende verschlimmbessern. Wir haben da zu viel Bad Governance. Wir haben es schon schwer genug durch unsere 27 Mitgliedstaaten. Aber wenn der Maschinenraum nicht das macht, was die politische Führung sagt und die politische Führung keine Kontrolle hat, dann sind wir verloren!

Wo sehen Sie da Ihre Rolle als europäischer Interessenverband mit mehr als 600 Mitgliedern und über 30 nationalen Verbänden?

Die EU ist wie ein großer Tanker, der jetzt auf dem Weg in den Wasserstoffhafen ist. Mein Verband spielt mit anderen Stakeholdern der Policy-Arena gegenüber der EU-Kommission die Rolle eines Schlepperboots, das den Tanker in den Hafen manövrieren möchte. Ganz oben auf der Brücke steht Frau von der Leyen und sieht all die Schlepper mit ihren Anliegen gar nicht. Wir möchten mit unserer Expertise und dem Sachverstand der Mitglieder Best-Practice und Lösungen aufzeigen. Aber es ist ein Wettbewerb, bei dem mit harten Bandagen gekämpft wird.

„Wenn Sie ein Elektroauto fahren, dann gilt der Strom, den Sie benutzen, immer als grün. Egal, ob er aus Kohle kommt oder aus Öl.“

Was meinen Sie – sind das die Vertreter der „All Electric Society“, die dagegen ankämpfen? Die immer wieder gern etwas gegen ­Wasserstoff sagen?

Die kurze Antwort lautet: Ja. Das, was im Nachgang im völlig vermurksten Heizungsgesetz in Berlin geendet hat – all diese Verästelungen diverser NGOs bis hin in die Politik – ist jetzt nach Brüssel gewandert. Und da machen die einfach weiter.

Welche Folgen befürchten Sie dadurch für die Europäische Union?

Für Europa ist das katastrophal. Wir haben es in Spanien beim Blackout gesehen. Über die Ursachen kann man streiten. Aber eins ist klar: Dass das Wiederanlaufen des Stromnetzes so lange dauerte, hat definitiv damit zu tun, dass nicht genug Trägheit, nicht genug Moleküle im System waren. Es gibt eine Grundregel – 70 zu 30. Dreißig Prozent müssen molekülbasiert sein. Das haben die Spanier nicht gehabt und dementsprechend lief das nicht wieder an. Also die sogenannten Strom-Priorisierer, um es mal freundlich auszudrücken, sind definitiv auf dem Holzweg. Und sie schaden der Volkswirtschaft.

Wie meinen Sie das genau?

Wir haben in Deutschland schon viele Milliarden Euro für Abregelung und Redispatch ausgegeben. Wir haben hohe Strompreise deswegen. Das schadet der Volkswirtschaft. Das schadet Europa. Und das schadet dem Vertrauen in die erneuerbaren Energien. Das sollte aufhören! Zwei Infrastrukturen sind billiger als eine.

Könnte die neue Bundesregierung diesbezüglich noch etwas zum Positiven verändern?

Ich hoffe, dass die Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche ein Einsehen hat. Sie hat schon in ersten Interviews gesagt, dass sie einen pragmatischen Ansatz will. Und sie muss rasch jetzt auch in Brüssel – ich sage mal – Kante zeigen. Sie kann die EU-Kommission auffordern, die Kriterien des Clean Industrial Deal sofort überprüfen zu lassen. Frau Reiche hat das Wissen dafür. Und sie hat auch die Macht. Darauf hoffen wir jetzt: Rettet Europa vor dem bürokratischen Untergang! 

© Monika Rößiger

Über Jorgo Chatzimarkakis

Jorgo Chatzimarkakis ist CEO des europäischen Wasserstoffverbandes Hydrogen Europe, der die Interessen der Wasserstoffindustrie vertritt. Mit Hilfe „von sauberem Wasserstoff als reichlichem und erschwinglichem Energieträger und Rohstoff“ möchte der Verband nach eigenen Angaben in Europa eine Netto-Null-Wirtschaft erreichen. Nach Ansicht von Chatzimarkakis braucht die Europäische Union eine mehrgleisige Wasserstoffstrategie mit Elektrolyse, Pyrolyse und Müll zu H2.

Und er warnt: Wer sich nur auf Strom verläßt, steuert auf eine Versorgungskrise zu.

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