Wir hätten es so viel einfacher haben können. Alles, was wir heute benötigen, hätten wir schon längst aufbauen und vorbereiten können. Wir wussten doch – oder ahnten es zumindest –, dass es einmal so kommen könnte. Der Club of Rome hat uns bereits vor fünfzig Jahren genau das Szenario prophezeit, das sich uns nun bietet.
Hätte, wäre, wenn – anscheinend wollten wir es nicht anders. Anscheinend waren den maßgeblichen Entscheidungsträgern in den vergangenen Jahrzehnten andere Dinge wichtiger. Statt langfristig und vorausschauend zu planen, ging es um kurzfristige Erfolge und Partikularinteressen. Wir haben zwar viel über Nachhaltigkeit diskutiert, aber dann doch nichts – oder zu wenig – geändert.
Und wir Wählerinnen und Wähler haben dem zugestimmt und fleißig mitgemacht. Wir haben genau denjenigen, die vehement auf Gewinnmaximierung und die angeblich so guten Verbündeten mit ihren fossilen Energiereserven gesetzt haben, regelmäßig unsere Stimme gegeben. Dabei wurde doch immer wieder angemahnt und unaufhörlich dazu aufgerufen, mehr für Energieautarkie und Dezentralität zu tun und langfristiger zu planen.
Wir alle haben – teils schweigend – der bisherigen Art des Wirtschaftens zugestimmt oder zumindest nicht genug Einsatz für maßgebliche Änderungen gezeigt. Wir haben es hingenommen, dass über Jahrzehnte in Kernenergie investiert wurde, obwohl diese Technologie doch nur ein energetisches Strohfeuer, langfristig aber teuer und in keiner Weise generationengerecht ist.
Wir haben es hingenommen, dass nochmals riesige Geldsummen in Kohle und Gas investiert wurden, während gleichzeitig die Zukunftstechnologien Solar- und Windkraft im eigenen Land pleitegingen, nachdem wir zeitweise schon über 300.000 Beschäftigte in diesem Bereich hatten.
Wir haben es hingenommen, dass nochmals riesige Geldsummen in Kohle und Gas investiert wurden, während gleichzeitig die Zukunftstechnologien Solar- und Windkraft im eigenen Land pleitegingen, nachdem wir zeitweise schon über 300.000 Beschäftigte in diesem Bereich hatten.
Wir haben es hingenommen und nehmen es immer noch hin, dass die Automobillobby jahrelang auf Zeit spielt, lügt und betrügt und dennoch weiterhin staatliche Fördermillionen bekommt und trotz Feinstaub- und Dieselskandals riesige Gewinne einfährt.
Deswegen: Beklagt euch jetzt nicht, jammert jetzt nicht rum, dass die Energiepreise „plötzlich“ so hoch sind! Wir wussten, dass es irgendwann so kommen würde. Wir wollten es nur nicht wahrhaben.
Beschwert euch jetzt nicht, dass irgendjemand anderes in der Vergangenheit falsche Entscheidungen getroffen hätte. Wir haben alle gemeinsam weggeguckt und zu wenig dafür getan, dass anders, nachhaltiger, gewirtschaftet wird. Anderen die Schuld zu geben ist einfach, aber nicht ehrlich. Wahr ist, dass zumindest diejenigen, die heute über 25 Jahre alt sind, verantwortlicher hätten agieren können – im Sinne der Allgemeinheit und nicht im Sinne des eigenen Geldbeutels.
Das Gute ist, dass die derzeitige Situation jede Menge Potentiale bietet. Potentiale für Veränderungen – und die sind bitter nötig. Sicherlich sind mit Veränderungen auch immer Unsicherheiten verbunden, aber sie bergen auch die Chance, etwas zu verbessern.
Wir in Deutschland haben daher nicht nur die Möglichkeit, sondern geradezu die Pflicht, aus der jetzigen Situation das Beste zu machen. Denn wir verfügen über das Wissen, die Ressourcen und das Geld.
Sicherlich ist es derzeit für viele Bürgerinnen und Bürger schwierig, in akuter Notsituation das große Ganze im Blick zu behalten und hoffnungsfroh an der Rettung der Welt mitzuwirken. Deswegen müssen jetzt zunächst zügig geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um soziale und finanzielle Härten abzufedern.
Alle, die auf solche Maßnahmen nicht angewiesen sind, sind an dieser Stelle aufgefordert, endlich zu handeln. Es gibt genügend privilegierte Menschen, die über einen entsprechenden Hintergrund verfügen und an geeigneten Lösungen für eine saubere, nachhaltige Zukunft mitarbeiten können – im Großen wie im Kleinen. Sei es auf politischer Ebene oder im eigenen Haushalt. Alles ist wichtig.
Viele der Unternehmen, die in den vergangenen Jahren emsig an Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien geforscht haben, können jetzt aktiv dazu beitragen, rasch die lang gepriesene Energiewende umzusetzen. Die Energiewende, die bislang nur eine Worthülse ist, muss endlich mit Inhalten gefüllt werden, muss realisiert und gelebt werden.
Dafür bedarf es all der Technologien, die bis dato in den Laboren schlummern und immer noch auf ihren Markteintritt warten. Statt nur zu forschen und zu entwickeln, müssen jetzt Zukunftsprodukte in Umlauf gebracht und hochskaliert werden. Wann, wenn nicht jetzt?
Die positive Nachricht ist, dass es bereits zahlreiche gute Beispiele gibt: So nahm im Februar 2022 der US-amerikanische Motorenbauer Cummins in Herten seine erste europäische Brennstoffzellenfabrik in Betrieb. Mitte März folgte mit Plug Power ein weiterer nordamerikanischer, börsennotierter Konzern mit einem Produktionsstandort in Duisburg.
Fast parallel dazu erklärte Intel, 17 Mrd. Euro in eine Chipfabrik in Magdeburg investieren zu wollen, während im nahegelegenen Zerbst die Baugenehmigung für einen 3.000 Quadratmeter großen Produktionsstandort erteilt wurde, an dem grüner Wasserstoff mithilfe von Solarenergie, Windkraft und Biogas erzeugt werden soll (Investitionsvolumen: 75 Mio. Euro).
Solcher Projekte mit verschiedenen Partnern aus unterschiedlichen Regionen bedarf es noch vieler, damit wir unabhängiger werden und anderen besser helfen können. Der Weg für eine sozial-ökologische Transformation ist also bereitet.
Auch wenn der Anlass – Putins Krieg gegen die Ukraine – ein schlimmer ist, ist es umso wichtiger, jetzt aufs richtige Pferd zu setzen und endlich generationengerecht zu wirtschaften.
Autor: Sven Geitmann