Nikola hat seine Ziele für das Jahr 2022 gesenkt: Statt 300 bis 500 batterieelektrische Lkw 2022 werden es nun 120 bis 170 Einheiten im vierten Quartal, so dass die Gesamtmenge weit unter 300 liegen wird. Der Grund: Nikola will die Produktion verlangsamen, um die Kostenstruktur des Unternehmens besser auszuloten. Die Reduzierung der Belegschaft im batterieelektrischen Bereich um bis zu sieben Prozent ist so nicht erwartet worden, wird aber auch wieder eine Wende sehen, wenn 2023/24 die Kapazitäten bei 20.000 Einheiten auf Jahresbasis erreicht sind und mancher Neuauftrag vorliegt.
Die erfolgte Übernahme von Romeo Power wird in der Integrationsphase Geld kosten, bis sich die Kostensenkungspotentiale richtig auswirken. Nichts anderes habe ich erwartet, da man diese neue Tochter und ihre Produktionslinien erst einmal integrieren muss, bevor hieraus sehr positive Wirkungen – wir sprechen von Kostensenkungspotentialen von bis zu 90 Prozent – zu sehen sind.
Zukunft liegt beim FCEV-Tre
Unverändert sind die Pläne für die Produktion des wasserstoffbetriebenen FCEV-Tre, der ab der zweiten Jahreshälfte 2023 in die Produktion gehen wird. Testreihen laufen bereits, sowohl mit dem batterie- als auch mit dem wasserstoffbetriebenen Modell, mit Unternehmen wie Anheuser-Busch und Walmart – bei letzterem hat Nikola für 16,5 Mio. US-$ Land in der Nähe gekauft, um eine Wasserstoffinfrastruktur zu installieren. Vision: Hier kommen Aufträge, warum sonst diese Nähe?
Beeindruckend, wie sich Nikola Motors auf der IAA Transportation zusammen mit Iveco präsentiert hat. Das nordamerikanische Unternehmen ist der Konkurrenz weit voraus, immerhin erfolgen die Auslieferungen dann in der zweiten Hälfte 2023, während viele Wettbewerber hier noch ein paar Jahre brauchen.
Abb.: Nikola-Chef Michael Lohscheller präsentierte den FCEV-Tre voller Stolz auf der IAA Transportation
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Liquidität ist vorhanden, muss aber erhöht werden
Bislang hat Nikola Motors den Aufbau der Produktionsstätte in Arizona wie auch das Invest in den Themenkomplex Wasserstoff (Produktionsanlagen, H2-Tankstellen) vor allem mit Eigenkapital finanziert – durch die Ausgabe von Aktien. Der Eigenkapitalstand per 30. September 2022 betrug 403,8 Mio. US-$ sowie eine Finanzierungszusage über 312,5 Mio. US-$ des Wagnisfinanziers Tumin, die via Ausgabe weiterer Aktien eingelöst werden kann. Letzteres ist aber bei den aktuell sehr niedrigen Aktienkursen wenig sinnvoll.
Das laufende ATM-Programm (Verkauf/Platzierung über die Börse) in Höhe von 400 Mio. US-$ ist bereits mit circa 100 Mio. US-$ genutzt worden. Hier ist jedoch problematisch, dass man nirgends von einem Minimumpreis pro Aktie spricht und somit Citicorp als beauftragte Bank zu „jedem“ Kurs Aktien am Markt unterbringen kann. Für die Shortseller – es sind bereits über 100 Mio. Aktien leer verkauft (31.10.22) – ist dies natürlich eine Steilvorlage, da der Eindruck vermittelt wird, Nikola würde zu jedem Kurs Aktien veräußern wollen, ohne die Verwässerungseffekte zu berücksichtigen.
Der Aufbau der notwendigen Infrastruktur für Wasserstoff ist im Gange: 50 bis 60 H2-Tankstellen sollen bis Ende 2026 von dem Unternehmen betrieben werden. Damit setzt Nikola Akzente, zumal davon auszugehen ist, dass nicht nur eigene BZ-Lkw dort zum Tanken hinfahren werden, sondern perspektivisch auch die wasserstoffbetriebenen Lkw von Wettbewerbern. Nikola muss nur sicherstellen, dass es den Wasserstoff in der richtigen Menge und zum richtigen Kurs verfügbar hält und diesen nach Möglichkeit selbst produziert.
Vor allem mit dem Consumable Wasserstoff will Nikola Geld verdienen. Man spricht gar von einer angepeilten Menge von 300 Tonnen H2 am Tag 2026, was allein schon einem Umsatz von über 300 Mio. US-$ entsprechen könnte. 2022 soll die Produktionsmenge von Wasserstoff bei 30 Tonnen/Tag liegen und dann 2024 auf 150 Tonnen/Tag steigen. Mit KeyState Natural Gas wurde kürzlich ein Abkommen über die Lieferung von 100 Tonnen/Tag ab 2026 vereinbart. 2.500 Nikola Tre-FCEV können damit täglich betankt werden.
Nikola rückt Walmart „auf die Pelle“
Für 16,5 Mio. US-$ hat Nikola kürzlich eine Landfläche in Buckeye in Arizona erworben. Genannt wird diese Immobilie „Phoenix Hydrogen Hub LLC“, was unschwer erkennen lässt, dass dort Wasserstoff produziert oder via Tankstelle verfügbar gemacht werden wird und eventuell auch ein Servicecenter für FCEV-Lkw entsteht. Der Clou daran ist, dass Walmart genau dort ein sehr großes Logistikzentrum (Walmart beschäftigt allein 12.000 Lkw-Fahrer und besitzt über 80.000 Trailer) hat. Die Nähe zu Walmart lässt die Vermutung zu, dass Walmart ein großer Käufer von wasserstoffbetriebenen Trucks werden könnte: Die Entfernung des von Nikola erworbenen Geländes zu Walmart beträgt gerade mal 20 Meilen, die in gut 20 Minuten Fahrzeit erreicht werden können. Guess why?
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Andrew Vesey wird Mitglied des Vorstandes
Andrew Vesey war bislang der Präsident und CEO von Fortescue Future Industries North America des australischen Milliardärs Andrew Forrest. Dieses Unternehmen ist auch sehr eng mit Plug Power in gemeinsamen Elektrolyseaktivitäten verbunden. Vorher war Vesey Präsident und CEO von Pacific Gas & Electric und CEO von AES Corporation, neben diversen weiteren Mandaten als Berater.
Neuer Vertriebsvorstand: Bruce Kurtt
Ein Schwergewicht der nordamerikanischen Lkw-Industrie, Bruce Kurtt, wird neu im Vorstand von Nikola für den Vertrieb zuständig sein. Er hatte in den letzten 30 Jahren diverse Top-Positionen in der Industrie inne, wie bei Volvo, Mack, Kenworth und Navistar. Zudem war er selbst Lkw-Händler mit eigenem Unternehmen und kennt die Branche daher wie seine Westentasche. Er sagte: „Ich habe mich Nikola aus einem wichtigen Grund angeschlossen: Sie sind jetzt bereit. Nikola kann sofort BEV-Lkw und nächstes Jahr FCEV-Lkw liefern. Ich glaube, dass wir jedem anderen OEM mit nachhaltigen Produkten, die für unsere Zukunft entscheidend sind, voraus sind.“
Ausblick
Die Geschäftszahlen lagen im Bereich der Erwartungen: Im dritten Quartal betrug der Umsatz 24,2 Mio. US-$, was mit der Auslieferung von 63 batterieelektrischen Tre-BEV und einer Ladestation (MCT) zusammenhängt. Im zweiten Quartal hat Nikola 48 E-Trucks und 4 MCT ausgeliefert. Der Verlust betrug 263,2 Mio. US-$ bzw. minus 0,54 US-$ pro Aktie GAAP-Rechnungslegung und minus 0,28 US-$ pro Aktie non-GAAP – im Rahmen der Erwartungen. Da sich der Aufbau der Ladeinfrastruktur für die Lastwagen verzögert (Genehmigungsverfahren, Installation, Strombeschaffung u. a.), wird Nikola hier das Tempo im Produktionsaufbau erst einmal senken, zumal man aktuell pro Fahrzeug noch hohe Verluste macht, bis sich dies im Jahresverlauf 2023 ändern wird, wenn die Fertigungslinien für die Batterien (Proterra und Romeo Power – post-aquisition integration) und die BZ-Stacks (Bosch) stehen und die Kosten dramatisch sinken lassen. Dies sei aber in einer solchen Frühphase, „early stage adoption“, normal, hieß es.
Klare Absage an den SUV-Bagger: Es waren Gerüchte aufgekommen, Nikola wolle diesen nun doch bauen. Man konzentriert sich aber vollends auf emissionsfreie Lkw, also batterieelektrische und wasserstoffbetriebene. Die ehrgeizigen Ziele für den Produktionsaufbau – wir sprechen von 20.000 Einheiten beider Modelle 2023 – werden nun verschoben auf das Jahr 2024, womit circa 345 Mio. US-$ weniger an Kapitalbedarf besteht. Die 20.000 an Kapazität und dann 40.000 ein Jahr später sind ohnehin nur Rahmendaten, die weit entfernt von den aktuellen Absatzerwartungen sind, so dass Zielverschiebungen keine Auswirkung haben.
Die Testreihen mit Unternehmen wie TTSI (für Anheuser-Busch) laufen für beide Modelle sehr gut – bereits 9.700 Meilen im Tagesbetrieb bei Anheuser-Busch sowie bei Walmart 5.500 Meilen mit den batterieelektrischen und 2.700 Meilen mit den wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen. In diesem Jahr werden insgesamt 17 Beta-Versionen des FCEV-Tre ausgeliefert – für Testreihen. Die Kosten für die Anlieferung von importierten Komponenten – statt als Luftfracht wieder auf dem Schiffsweg – konnten im dritten Quartal erheblich von 84 Prozent auf 33 Prozent gesenkt werden. Auch die Lieferketten konnten verbessert werden. Und dann kam kürzlich der Auftrag von Zeem Solutions über 100 BEV-Tre herein – ein gutes Zeichen.
Als sehr positiv zu bewerten ist die Partnerschaft mit Iveco, da diese ja auch für das JV das Händlernetz in Europa stellen, wo bis 2028 alle 100 km (vorher 150 km) H2-Tankstellen entstehen sollen. Hierbei arbeitet Nikola auch mit E.ON zusammen. Zudem hat Nikola kürzlich mit ChargePoint Holdings (einem der weltweit größten Ladestationenanbieter, dessen Netzwerk größer ist als das von Tesla) ein Partnerschaftsagreement abgeschlossen, um die Strombelieferung für die BEV-Tre sicherzustellen – eine Grundvoraussetzung für den Absatz dieser Lkw.
Plug Power und Nikola Motors gaben kurz vor Redaktionsschluss bekannt, dass Plug bis zu 75 der wasserstoffbetriebenen Lkw der Marke Tre FCEV innerhalb der kommenden drei Jahren kaufen möchte. Parallel wollen beide das Thema Wasserstoff angehen: Plug wird das System für die Wasserstoffverflüssigung bei dem Projekt Buckeye von Nikola liefern, welches am Anfang 30 und später bis zu vorerst 150 Tonnen Wasserstoff am Tag produzieren soll. Zudem sollen die Tankbehälter für die Transporttrailer von Nikola von Plug geliefert werden. Solche Joint-Ventures werden wir 2023 noch mehrere sehen.
Shortseller dominieren den Börsenhandel
Die Shortseller sind bei Nikola sehr aktiv am täglichen Börsenhandel beteiligt. Nikola hat da leider auch – sicher ohne Absicht – manche Steilvorlage geliefert (s. Guidance und ATM-Programm). Last but not least gab es eine Veröffentlichung, dass der Ex-CEO Mark Russell, basierend auf einem mit Steuerangelegenheiten begründeten Veräußerungsplan, Optionen wandeln, in Aktien tauschen und den Gegenwert (wir sprechen über 75.000 Aktien/Handelstag) via Verkauf realisieren lässt. Der Gesamtbetrag bei Russell mag (relativ) klein sein (wohl aktuell 5 Mio. US-$), aber es ist natürlich psychologisch nicht gut, wenn ein Topmanager – aus welchen Gründen auch immer – Aktien verkauft. Er hält indes direkt wie indirekt noch über 45 Mio. Aktien, so dass man all dies in Relation sehen muss.
1,3 Mrd. US-$ Kredit durch das DOE?
Der Antrag ist gestellt und bereits in der zweiten Genehmigungsstufe. Im Rahmen des Inflation Reduction Acts können Kapitalmittel beantragt werden, wenn sie den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft beflügeln. Da Nikola selbst in die Wasserstoffproduktion und Distribution als Basis für den Verkauf von H2-Lkw einsteigt, wäre dieser Kredit – in case – zielführend. Sollte es hier zur Vergabe kommen, hätte Nikola neue und sehr wichtige Liquidität für den Ausbau der H2-Aktivitäten. Leider ist nichts darüber zu erfahren, wie lange der Genehmigungs- und Vergabeprozesse dauert und in welcher Höhe Nikola darauf zurückgreifen könnte. Auf jeden Fall eine sehr positive Nachricht, zumal die US-Regierung hier sehr viel positiven Druck ausübt und die Mittel im konkreten Einsatz sehen will.
Fazit
Für Nikola muss man Zeit mitbringen, da das Unternehmen seine Liquiditätssituation neu aufstellen muss. Der Lkw-Hersteller ist positiver Frontrunner bei batterieelektrischen wie auch wasserstoffbetriebenen Trucks. Der richtige Hochlauf wird 2023 zu sehen sein, wobei ich manchen (Groß-)Auftrag erwarte, da sich immer mehr Logistiker hier neu aufstellen wollen und dies auch aufgrund der Emissionsvorgaben müssen. Nikola deckt beide Bereiche ab, wobei meines Erachtens der viel spannendere – weil damit auch mehr Geld verdient wird – der Wasserstoff ist.
Die Shortseller haben noch einen wichtigen Einfluss, der aber 2023 verschwindet, wenn Nikola liefert, was für das nächste Jahr geplant ist. Dass das alles länger, als ursprünglich gedacht, dauert, liegt in der Natur der Sache eines Start-ups. Große Fantasie besteht immer, wenn Partner wie Iveco hier ihren Anteil aufstocken sollten. Oder wenn Aufträge angenommen werden, denn Börse ist zu über 50 Prozent Erwartung (Kostolany).
Wir sehen hier den Aufbau eines First Movers in Sachen Wasserstoff im Nfz-Sektor, der großen Playern der Branche zeitlich klar voraus ist. Mit einer Börsenbewertung in Höhe von 1,2 Mrd. US-$ übertreibt die Börse massiv nach unten, so meine subjektive Sicht der Dinge. Hochspekulativ, aber mit gleichzeitig sehr großem Potential. Sehen Sie Nikola Motors als Kaufoption auf Wasserstoff im Nfz-Verkehr und an der Börse an.
Risikohinweis
Jeder Anleger muss sich immer seiner eigenen Risikoeinschätzung bei der Anlage in Aktien bewusst sein und auch eine sinnvolle Risikostreuung bedenken. Die hier genannten BZ-Unternehmen bzw. Aktien sind aus dem Bereich der Small- und Mid-Caps, d. h., es handelt sich nicht um Standardwerte, und ihre Volatilität ist auch wesentlich höher. Es handelt sich bei diesem Bericht nicht um Kaufempfehlungen – ohne Obligo. Alle Angaben beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen und stellen, was die Einschätzung angeht, ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar, der seinen Fokus auf eine mittel- und langfristige Bewertung und nicht auf einen kurzfristigen Gewinn legt. Der Autor kann im Besitz der hier vorgestellten Aktien sein.
Autor: verfasst von Sven Jösting am 16.12.2022