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Energieautarkie mit Wasserstoff

Die Dekarbonisierung der Energieversorgung ist von essenzieller Bedeutung für das Erreichen der Klimaschutzziele. Nicht zuletzt durch die aktuelle Gasversorgungskrise, ausgelöst durch den Ukraine-Konflikt, ist das Thema Gas- und Wärmeversorgung in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt. Kurzfristig werden Maßnahmen zur Energieeinsparung auf allen Ebenen und insbesondere auch für Haushalts- und Gewerbekunden diskutiert. Aber auch strukturelle Änderungen, welche im Rahmen einer Wärmewende hin zu einer klimaneutralen Gebäudeenergieversorgung erforderlich sind, stehen im Fokus der aktuellen Debatte.

In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Wärmepumpe als Schlüsseltechnologie für die klimaneutrale Raumwärmeversorgung gesehen. Allerdings wird in dieser Diskussion auch immer wieder grüner Wasserstoff als Lösungsmöglichkeit ins Spiel gebracht.

Neben der klassischen leitungsgebundenen Versorgung, wie sie bislang bei Erdgas der Fall ist, sind in den letzten Jahren zahlreiche Pilotprojekte realisiert worden, in denen eine dezentrale Wasserstoffproduktion und -verwendung zur Wärme- und Stromerzeugung stattfindet. Zentraler Treiber für diese Projekte ist der Wunsch nach einer ganzjährigen, autarken Energieversorgung aus lokalen erneuerbaren Energiequellen. Wegen der aktuell zu beobachtenden Explosion der Energiepreise für Strom, Erdgas und Wärme erhält das Thema eine zusätzliche Brisanz.

Ziel des vorliegenden Artikels ist es daher, einen Überblick über bisher realisierte Beispielprojekte zu geben sowie die aktuelle Anbietersituation für autarke, wasserstoffbasierte Gebäudeenergiesysteme zu beleuchten. Aufgrund der dynamischen Entwicklung in beiden Bereichen erhebt diese Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Definition: Energieautarkie

Unter Energieautarkie wird die vollständige Unabhängigkeit von einer externen, oftmals leitungsgebundenen Energieversorgungsinfrastruktur (z. B. Strom, Gas, Wärme) verstanden. Jeglicher Energiebedarf wird lokal (innerhalb der betrachteten Bilanzgrenze; z. B. Gebäude) erzeugt, gespeichert und verbraucht, wobei eine Überschusseinspeisung von erzeugtem Strom und Wärme in eine externe Versorgungsinfrastruktur möglich ist. Bei einem stromautarken System wird lediglich der Strombedarf durch die lokale Erzeugung gedeckt. Eine Netzeinspeisung ist in diesem Fall möglich. Teilautarke Versorgungssysteme erreichen oftmals einen hohen Autarkiegrad, ohne vollständig unabhängig von einer externen Versorgungsinfrastruktur zu sein.

Projektübersicht

Tabelle 1 zeigt eine Auswahl deutscher Projekte, in denen lokal erzeugter Wasserstoff zur Energiespeicherung und Gebäudeenergieversorgung eingesetzt wird. Neben dem erreichten Autarkiegrad unterscheiden sich die Projekte in der Umsetzung und Integration der Wasserstofftechnologien. Einerseits wurden fertige Systemlösungen integriert, die Wasserstofferzeugung, -speicherung und -verwendung in einem Standardprodukt anbieten. Auf diese Systeme wird später genauer eingegangen (s. Tab. 3). Andererseits ist eine individuelle, projektspezifische Auslegung anzutreffen, wo Elektrolyseure, Brennstoffzellen, Speicher und weitere Komponenten von verschiedenen Herstellern und Anbietern durch einen Systemintegrator zu einer Gesamtlösung kombiniert werden. Des Weiteren wird eine Abgrenzung hinsichtlich des Umfangs beziehungsweise der Größe der Projekte vorgenommen. Somit lassen sich diese in Wohnhäuser, Gewerbebetriebe und Quartiere einteilen.

Ab 2018 wurden über 100 H2-Energieversorgungsprojekte in Gebäuden mit Picea-Systemen umgesetzt, so dass sich der Hersteller Home Power Solutions AG (HPS) im deutschen Markt etablieren konnte. Aufgrund der Ähnlichkeit der Wasserstoffhäuser mit Picea-System werden lediglich zwei Projekte in Einfamilienhäusern (EFH) und eines in einem Gewerbebetrieb in Tabelle 1 aufgeführt. Dabei ist das EFH in Zusmarshausen besonders hervorzuheben. Zusätzlich zu dem handelsüblichen HPS-Produkt wurden weitere Komponenten ergänzt, so dass eine komplett netzunabhängige Energieversorgung stattfindet. Dazu wurde neben der im Picea-System verbauten Blei-Gel-Batterie eine weitere Lithium-Ionen-Batterie mit 25 kW Leistung als Backup installiert und die Möglichkeit zum bidirektionalen Laden durch ein batterieelektrisches Auto geschaffen. Außerdem ist ein im Vergleich zu anderen EFH-Projekten relativ großer Wasserstoffspeicher verbaut worden.

Demgegenüber stellt das Projekt im Lahn-Dill-Kreis ein typisches Beispiel für ein Picea-Haus dar. Neben einer PV-Anlage werden beispielsweise Wärmepumpen zur Unterstützung bei der Wärmeerzeugung eingebaut. Auch im größeren Maßstab ist eine Gebäudeenergieversorgung mit Picea-Systemen bereits möglich. In dem Unternehmen Josef Küpper Söhne GmbH wurde 2021 erstmals eine autarke Gebäudeenergieversorgung für einen Gewerbebetrieb mit einem Multi-Picea System, bestehend aus fünf Einheiten, realisiert.

Ein Alleinstellungsmerkmal hat das Projekt aus Augsburg: Während in allen anderen Projekten Wasserstoff gespeichert und genutzt wird, hat der Anbieter Exytron ein teilautarkes Mehrfamilienhaus (MFH) mit einer Methanisierungsanlage realisiert und wandelt den lokal produzierten Wasserstoff direkt in synthetisches Erdgas (SNG = synthetic natural gas) um. Das dazu benötigte CO2 wird aus der SNG-Verbrennung in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) und einer Brennwerttherme gewonnen, so dass der Prozess bilanziell CO2-frei ist. Eine Brennstoffzelle wird nicht eingesetzt.

Gegenüber den bislang vorgestellten Projekten, welche sich auf Einzelgebäude beziehen, fand bei den beiden in Tabelle 1 aufgeführten Quartieren in Bochum und Esslingen eine individuelle Auslegung statt. Im Open District Hub wird für insgesamt 81 Wohnungen Teilautarkie durch den Einsatz von Elektrolyse, Brennstoffzelle, PV-Anlage, Batterie und Wärmepumpe erreicht.

Das Klimaquartier in Esslingen am Neckar (s. HZwei-Heft April 2021) setzt auf die Kombination gleich mehrerer Energieumwandlungssysteme, um Wohnhäuser, ein Hochschulgebäude und Büro- und Gewerbeflächen mit Strom und Wärme zu versorgen. Eine Brennstoffzelle wird allerdings nicht verwendet. Für die Wärmeversorgung des Quartiers wird insbesondere die Abwärme des Elektrolyseurs genutzt. Der entstehende Wasserstoff soll neben der Nutzung in einem Multi-Fuel-BHKW insbesondere auch extern, d. h. außerhalb der Quartiersgrenzen, durch Versorgung einer H2-Tankstelle und Einspeisung in das Erdgasnetz vermarktet werden.

Des Weiteren ist in dem Ort Ursprung ein vollautarkes Eventzentrum im Betrieb. Zur Energieversorgung werden PV-Strom, Elektrolyse, eine Brennstoffzelle und ein Biomeiler eingesetzt. Außerdem ist in Gütersloh ein vollautarkes Quartier mit Wasserstofferzeugung und -verbrauch geplant. Beide Projekte sind nicht in Tabelle 1 gelistet, da bisher genauere Angaben bezüglich der verwendeten Anlagen und deren Größe in beiden Fällen nicht verfügbar waren.

Abgesehen von den aufgeführten deutschen Projekten wurden bereits 2015 in Schweden und Thailand erste Wasserstoffsysteme zur Energieversorgung von Mehrfamilienhäusern realisiert, in denen Wasserstoff zur Energiespeicherung und -versorgung eingesetzt wird (s. Tab. 2).

Systemanbieter

Nach der Gründung von HPS 2014 sind in den letzten Jahren insbesondere in Deutschland, aber auch international, mehrere Anbieter für Energieversorgungssysteme mit Wasserstofftechnologie für den Gebäudebereich hinzugekommen (s. Tab. 3). Deren Produkte lassen sich in Vollsysteme und modulare Systeme unterteilen. Vollsysteme als standardisierte Produkte, wie sie etwa von HPS, Solenco Power und Lavo angeboten werden, verwenden einheitliche Elektrolyse- und Brennstoffzellenleistungen. Eine Skalierung findet durch die Kombination mehrerer Systeme statt. Grundsätzlich ist es möglich, wie es beispielsweise bei dem Wasserstoffhaus in Zusmarshausen gezeigt wurde, die Speicherkapazität durch eine variable Anzahl der Glasflaschenbündel zu erhöhen, unabhängig von der Anzahl der Einzelsysteme.

Bei den modularen Systemen werden entsprechend der Kundenanforderungen Elektrolyseure und Brennstoffzellen variabler Leistung oder Anzahl verbaut, wobei sich hier eine weitere Unterscheidung ergibt. H2 CoreSystems und H2 Powercell integrieren die Systemkomponenten in einem Schrank (HyroCab PowerCore) oder einem Container (H2 Multi Purpose Container, H2PowerCube 3.0) mit vorgeschriebenen Maßen. Somit ist die Modularität durch den eingeschränkten Bauraum begrenzt, und eine weitere Skalierung wird durch die Kombination mehrerer Schränke oder Container erzielt.

Ostermeier H2ydrogen Solutions verbaut die Elektrolyseure und Brennstoffzellen vorzugsweise in 19‘‘-Schränken. Wenn die Anzahl der Systemkomponenten die Kapazität der Schränke überschreitet, wird eine individuelle Auslegung vorgenommen. Umstro legt die Systeme und die Unterbringung der Komponenten jeweils entsprechend den Kundenanforderungen aus. Somit ist eine sehr projektspezifische Auslegung möglich.

Die beiden ausländischen Hersteller weisen jeweils ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den deutschen Wettbewerbern auf: Solenco Power verwendet eine reversible elektrochemische Zelle, die sowohl im Elektrolysemodus als auch im Brennstoffzellenmodus betrieben werden kann. Der australische Anbieter Lavo verwendet Metallhydridsysteme für die Speicherung des Wasserstoffs.

Ausblick

Während bereits einige Projekte erfolgreich umgesetzt wurden und die Anzahl der Systemanbieter zunimmt, bleibt abzuwarten, wie sich der Markt zukünftig weiterentwickelt. Getrieben durch die aktuelle Energieversorgungskrise erfahren autarke, wasserstoffbasierte Gebäudeenergieversorgungssysteme eine hohe Aufmerksamkeit. Das Interesse ist getrieben durch den Wunsch nach Unabhängigkeit und einer nachhaltigen, lokalen Versorgungslösung. Trotz vorhandener Förderung sind die Kosten für wasserstoffbasierte Versorgungslösungen momentan allerdings noch zu hoch für einen breiteren Einsatz. Werden von Kundenseite vollautarke Versorgungslösungen gewünscht, führt an der lokalen Erzeugung, Speicherung und Nutzung von Wasserstoff kein Weg vorbei, und die vorgestellten Projekte und Systemanbieter zeigen die Machbarkeit auf den verschiedenen Ebenen vom Einzelgebäude über Mehrfamilienhäuser und Gewerbebetriebe bis zum Quartier auf.

Autoren: Marius Holschbach;
marius.holschbach@smail.th-koeln.de

Prof. Peter Stenzel; Technische Hochschule Köln, Cologne Institute for Renewable Energy (CIRE)
peter.stenzel@th-koeln.de