Hzwei Blogbeitrag

Beitrag von Sven Geitmann

12. Oktober 2023

Titelbild: Diese Freianlagen steht als kleine Demoanlage seit rund 20 Jahren auf der Naturschutzinsel Vilm

Bildquelle: K.-H. Remmers

Photovoltaik und Wasserstoff in der realen Welt

Gastbeitrag von Karl-Heinz Remmers, Photovoltaik-Pionier

Solarenergie wie auch Wasserstoff üben auf die Öffentlichkeit bereits seit langer Zeit eine hohe Faszination aus. Beiden werden global große Chancen und die Lösung der Energiefragen zugeschrieben. H2 wird dabei in der aktuellen öffentlichen Diskussion sogar eine Lösungskompetenz in allen Bereichen zugetraut. Wie steht es um diese Lösungen? Woher kommt der grüne Strom dafür? Und wie können (grüner) Wasserstoff und Photovoltaik das große gemeinsame Potenzial noch schneller heben?

Als wir 1992 mit der Planung und dem Bau von Solaranlagen begannen, war die Faszination für H2 und Solar bereits sehr groß. PV-Anlagen waren aber sehr teuer. Sie wurden in Deutschland nur von Enthusiasten gekauft, und auch diese Käufe waren von (massiven) Förderungen abhängig. Diese (verlorenen) Förderungen kamen und gingen, ebenso immer neue Pilot- oder Vorzeigeprojekte. Global einigermaßen stabil liefen nur die Märkte in der Raumfahrt (Kosten egal) und Off-Grid, wo es passte. Netzgekoppelte Photovoltaik kam in der Skalierung der Produktion nicht voran, und so blieben die Anlagen teuer und quasi ohne Relevanz für die Energieversorgung.

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In der Photovoltaik hat sich seit dem Jahr 2000 (globaler PV-Markt damals: 200 Megawatt), maßgeblich durch den massiven globalen Impuls des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes, eine Massenanwendung entwickelt. Für 2023 wird ein globaler Markt von über 380 Gigawatt an Neuinstallationen erwartet. Diese neu installierte Leistung wird global eine Strommenge erzeugen, die den gesamten heutigen deutsche Strombedarf decken könnte.

PV-Kraftwerke haben die niedrigsten Stromerzeugungskosten aller Neuanlagen. Seit dem Jahr 2000 sind diese um 95 Prozent gefallen. Bis 2035 wird eine Verzehnfachung des globalen PV-Marktes erwartet – bei weiteren Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen. All dies wurde durch die Schaffung eines Marktes in den früheren Phasen ermöglicht, die mittlerweile auch in Deutschland vollkommen subventionsfreie solare Stromerzeugung ermöglichen.

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Aus unserer Sicht haben wir bisher keinen vergleichbaren Ansatz, um die entsprechenden (nötigen) Skaleneffekte im H2-Bereich sicher und für die Industrie planbar umzusetzen. Zwar gibt es überall H2-Regionen, Pilotprojekte, erste Marktplätze und viel medialen und politischen Goodwill. Geht es dann aber um den Markt für neuen Wasserstoff, wird es schnell schwierig oder gar unmöglich. Es ist nicht verwunderlich, dass von den ganz großen (z. B. Stahlwerken, die mit der Umstellung auf die H2-Strecke begonnen haben) bis zu den mittelständischen Abnehmern zögerlich oder gar nicht gekauft wird.

Dem einen fehlen die sicheren Mengen, die anderen wollen nicht die derzeit nötigen hohen Preise zahlen. Denn es ist zu erwarten, dass H2 billiger wird. Hinzu kommt, dass nahezu jeden Tag von irgendwelchen – in der Realität nicht absehbaren – H2-Importen geträumt wird. Oder von der „Brücke“: blauer Wasserstoff nebst CCS. Preisschilder klebt bislang allerdings keiner an diese potenziellen Quellen.

Der massive Erfolg der Photovoltaik war einst, dieses Henne-Ei-Problem durch das EEG gelöst zu haben: Es gab für die jeweiligen Erzeuger (egal welcher Größe) eine gesicherte Abnahme über den nötigen Amortisationszeitraum nebst Preisgarantie. Die Käufer des Stroms zahlten hingegen die jeweiligen Marktpreise. Da die Förderung stark degressiv war, wurde der gewünschten Kostenreduktion Rechnung getragen bzw. diese massiv vorangetrieben.

Heute ist diese Förderung kaum noch oder nicht mehr nötig, sie wird zudem nun in vielen Bereichen und Ländern über Ausschreibungen den Marktverhältnissen angepasst. Über ähnliche Systeme für den H2-Hochlauf wird in der EU diskutiert, bzw. EU-Ausschreibungen sind angekündigt. Wie für den Solar- und Windbereich könnten für den H2-Bereich mit der Schaffung von H2-Börsenpreisen als Referenz ebenfalls CFDs (Contracts for Difference) eingeführt werden.

Warum ist das ein entscheidendes Thema?

Wer heute in eine Elektrolyse (nebst Speicherung etc.) investiert, kann sich sicher sein, in drei bis fünf Jahren wesentlich günstigere und effizientere Geräte erwerben zu können. Auch wird sich die Zuverlässigkeit weiter verbessern. Damit werden absehbar sowohl CAPEX als auch OPEX massiv sinken, oder einfacher gesagt der Preis pro kg H2. Ohne eine sichere Abnahme zu dem heute nötigen Preis ist das Projekt schnell bankrott.

Umgekehrt wird sich z. B. der H2-Einkäufer eines Stahlwerks oder auch eines Stadtwerks sicher weigern, heute einen langfristigen H2-Einkauf zu unterschreiben, wo doch klar ist, dass in den kommenden Jahren die Preise massiv sinken werden. Wird diese Hürde z. B. durch „verlorene“ Zuschüsse bzw. Einmalförderungen zu überbrücken versucht, kann nach deren Einsatz eine Pleite oder die Einstellung des Elektrolysebetriebs drohen, da die Förderung ja „verloren“ ist.

Zudem hat diese Variante in der Vergangenheit große Schwierigkeiten in der richtigen Ausgestaltung der Förderung gezeigt. Vor allem aber war sie stets von der jeweiligen Haushaltslage der Förderer abhängig.

Ein „H2-CFD“ oder ein ähnliches Instrument kann eine große Akteursvielfalt anreizen und sowohl die schnelle Marktausweitung als auch ein höheres Innovationstempo fördern.

Anwendungen werden „konstruiert“

Waren wasserstoffbetriebene Pkw noch vor 15 Jahren die einzige aussichtsreiche Technologie für reale Reichweiten über 100 km, so hat die technologische Evolution der Batteriespeicher diese schon heute, also vor ihrer massenhaften Anwendung, verdrängt. Und das, obwohl die Entwicklung der batteriebasierten Fahrzeuge ebenso wie von deren Batterien erst am Anfang steht.

Bereits 2025 dürften auch in Deutschland batteriebasierte Elektrofahrzeuge billiger zu haben sein als ihre verbrennerbasierten Schwestermodelle. Ob man diese Realität mag oder nicht, der sprichwörtliche Zug ist abgefahren. Sieht man sich die Entwicklung auch bei den Lkw an, wird auch hier das Rennen wohl zugunsten der Batterien ausgehen.

Wie es bei den jeweiligen Kategorien der Nutzfahrzeuge oder Schienenfahrzeuge ausgehen wird, ist noch offen. Allerdings haben auch all diese Kategorien in den Hunderten von Millionen neuer Batterien, die jedes Jahr global in den Markt kommen, einen mächtigen Gegner. Denn diese Batterien puffern auch die Netze und machen „Massenladungen“ möglich. Und eine Elektrifizierung von Bahnstrecken mittels banalen Fahrdrahts ist auch ein veritabler Gegner, wenn es um Kosten für Anschaffung und Betrieb geht, denn ein Batterie- oder H2-Zug ist kein Selbstzweck.

Mir erscheint es wichtig, nicht an Anwendungen, die einfach wirklich nicht groß rauskommen, festzuhalten, da es die Menschen frustriert, wenn diese versprochenen Technologien dann einfach nicht kommen. Auch ist das Verheizen von Wasserstoff in uralten Brennwertgeräten so unsinnig und teuer, dass die H2-Branche sich hier dringend von der genau dies propagierenden Erdgasbranche distanzieren sollte, um die eigene Glaubwürdigkeit und vor allem auch die Deutungshoheit über die eigene Technologie zu behalten.

Anwendungen wie die Produktion von H2-basiertem Flugbenzin oder Schiffstreibstoffen sowie die gesamten weiteren stofflichen Anwendungen sind ebenso wie die ebenfalls neu zu definierenden Speicheranwendungen von H2 ein so gigantischer kommender Markt, dass man darüber auch nicht zu trauern braucht.

Warum gilt es die Speicheranwendungen von Wasserstoff neu zu definieren?

Es gibt in den diversen Langzeitszenarien der Forschungsinstitute für die Regierungen kein Szenario, welches die nun bereits anlaufende Welle von Millionen (bidirektionaler) Speicher in Fahrzeugen sowie den bereits heute sehr kostengünstigen mittelgroßen und großen dezentralen Speicher berechnet. Ab 2024 wird deutschlandweit wohl kein Solarpark mehr realisiert, der nicht einen eigenen Speicher enthält, um Energie auch nachts zu verkaufen – ohne die Notwendigkeit von Förderungen.

Millionen kleinerer Speicher kommen hinzu, die alle vor Ort die vorhandenen realen Netzmöglichkeiten massiv erweitern. Die internationalen Entwicklungen beschleunigen sich noch schneller als die PV einst. Batteriespeicher werden in kurzer Zeit Solar „über die Nacht“ und „den Wind in die Flaute bringen“ – über Stunden, dann Tage, dann Wochen. Und das massenverfügbar für wenige Cent/kWh. Dies wird alle bisherigen Szenarien für H2 als Speicher massiv verändern.

Es geht auch ohne Stromnetz

H2-Produktion kann auch im Gigawattmaßstab „offgrid“ realisiert werden, sofern der Abtransport des Produktes (H2 oder auch E-Fuels) verlässlich und kostengünstig möglich ist. Das ist ein sehr interessanter Aspekt, der überall auf der Welt machbar ist, mit jeweils unterschiedlichen Anteilen von Solar- und Windenergie (oder, wo sinnvoll verfügbar, anderen erneuerbaren Energien). Diese ergänzen sich vor Ort und können speichergeschützt sehr hohe Laufzeiten für die Elektrolyse ohne den kostspieligen und zeitraubenden Anschluss an das Verbundnetz ermöglichen. Denn ihr Endprodukt ist nicht Strom, sondern H2-basierte Stoffe. Projekte in diesem Stil gibt es in verschiedenen Ländern, und auch für Deutschland ist dies eine realistische Variante geworden.

Von kostspieligen „Brückentechniken“ distanzieren

In einer aktuellen Verbands- und medialen Diskussion wird CCS als Brückentechnik zur Erlangung von blauem H2 aus Erdgas bis zu Beginn der 2030er-Jahre in der Bundesrepublik ernsthaft diskutiert. Hier wird eine Technologie, die nach Jahrzehnten politischer Diskussion noch im Prototypstadium steckt, in eine schlicht nicht machbare Zeitschiene geschoben. Und das ohne jede Diskussion über die Gesamtkosten einer solchen Variante, sofern sie dann (irgendwann) großtechnisch verfügbar ist.

Schließlich ist CCS auch seit den Nullerjahren immer wieder als Option für Kohlekraftwerke verkauft worden und kam nie – aus Kostengründen. Hinzu kommt, dass alle Probleme mit der Versorgungssicherheit, den Kosten und der Endlichkeit von Erdgas bei solchen Gedankenspielen bestehen bleiben. CCS ist eine gefährliche, substanzlose Ablenkung von dem dauerhaften und schnell skalierbaren Technologiepfad der erneuerbaren Elektrolyse in der EU.

Chancen werden unterschätzt

In der Öffentlichkeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht alle möglichen Ideen für die H2-Wirtschaft diskutiert werden. Es ist fast schon egal, wo Bundeskanzler oder Minister auf Reisen sind, fast immer geht es um den Import von H2. Natürlich zum „H2-Schnäppchenpreis“, wobei weder Kosten noch Preise überhaupt thematisiert werden. Bereits heute bestehende, massive politische Spannungen und Risiken potenzieller Lieferländer werden völlig ausgeblendet. Es ist schon erschreckend, wie wenig im politischen und medialen Umfeld die eigenen Potenziale in der EU und vor allem die Kosten der Optionen für H2 diskutiert werden. Daher will ich mal einen „Bierdeckel“-Vergleich machen, auch zu H2-Mindestkosten:

Wenn ich H2 „in der Wüste“ produzieren will, muss ich …

  • – (höhere) Kosten als in der EU für Elektrolyseure, Anlagenbau, Sicherheit etc. bezahlen.
  • – Meerwasser entsalzen (CAPEX-Kosten und Stromverbrauch).
  • – Wind und Sonne auch mit Mindestkosten von 1,5 Cent/kWh ansetzen, mit Batteriestabilisierung für hohe Auslastung der Elektrolyse darüber, die Preise werden aber in der Regel über den osten liegen.
  • – die Verluste durch die Abwärme berechnen (20 bis 40 % des eingesetzten Stroms), da thermische Energie in dem Klima vor Ort nicht genutzt werden wird.
  • – den Aufwand u. a. der Kompression für den Transport berechnen.
  • – die Kosten für Pipeline oder Tankertransport und deren Verluste im Betrieb ansetzen.
  • – einen kalkulatorischen Risikoansatz für instabile Regionen ansetzen.- …

Wenn ich H2 in Deutschland bzw. in der EU produzieren will, muss ich …

  • – geringere Kosten als in der Wüste für Elektrolyseure, Anlagenbau, Sicherheit etc. bezahlen.
  • – Wasser bezahlen.
  • – Wind und Sonne eher mit 4 bis 7 Cent/kWh Kosten ansetzen, auch hier etwas mehr für Stabilisierung, wobei vermiedene Abregelungen aus dem Stromnetz den Preis senken können.
  • – die Abwärme in eine Fern- oder Prozesswärme geben. Dann hätte ich 20 bis 40 % weniger Stromkosten, weil diese als Wärme verkauft werden können – oder ebenfalls „abschreiben“.
  • – den Aufwand u. a. der Kompression für den Transport berechnen.
  • – einen direkten Verbrauch vor Ort oder kurze Wege per Tanker/Pipeline (geringere Verluste und Kosten) gewährleisten.
  • – keine Risikoansätze für instabile Region einrechnen.- …

Ich glaube abschließend, dass eine Verfeinerung obiger „Bierdeckelberechnung“ mit realen Zahlen, die die zu erwartenden massiven Kostendegressionen berücksichtigen, erforderlich wäre. Vor allem, um auch (endlich) zu realistischen Einschätzungen darüber zu kommen, was grüner H2 2030/2040 kosten kann und welche Preise sich darauf basierend einstellen – in der EU und außerhalb –, abseits von abseitigen Schlagworten wie „H2 ist der Champagner der Energiewende“ oder „Mit H2 in Zukunft günstig heizen“.

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Autor: Karl-Heinz Remmers

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