Runter vom Gas

Runter vom Gas

Seit Mitte Mai 2023 tun 21 Brennstoffzellenstapler in der Werksflotte von Linde Material Handling (MH) in Aschaffenburg ihren Dienst. Rund 2,8 Mio. Euro flossen in die Planung und Errichtung der innovativen H2-Infrastruktur vor Ort. Die Produktionsanlage entstand in einer Bauzeit von nur elf Monaten auf 280 m2 im Fertigungs- und Montagewerk. Die dezentrale Wasserstoffinfrastruktur auf dem Gelände des Konzerns soll künftig als Anschauungsbeispiel für interessierte Kunden dienen, denn die Logistikbranche muss dringend von ihren CO2-Emissionen runter.

„Wir zeigen, wie die Nutzung regenerativer Energiequellen in der Praxis funktionieren kann“, sagt Stefan Prokosch, Manager bei Linde Material Handling. Neben der Klimaneutralität (nur mit grünem H2) sei vor allem das schnelle Betanken der Flurförderzeuge mit Wasserstoff bei intensiven Mehrschichteinsätzen ein großer Vorteil. „Eine dreiminütige Betankungszeit entspricht einer vergleichbaren Ladeleistung von rund 480 kW“, freut sich Prokosch.

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Die Millioneninvestition wird vom Bundesverkehrsministerium gefördert und vom Projektträger Jülich umgesetzt. Ziel ist es, Erfahrungen zu sammeln und Expertenwissen aufzubauen. So können Kunden künftig beim Einsatz von Wasserstoff in Materialflussprozessen umfassend beraten werden. Kurt-Christoph von Knobelsdorff, Geschäftsführer der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie GmbH (NOW), bezeichnet das Projekt in Aschaffenburg als „Leuchtturmprojekt für den weiteren Hochlauf der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie“. Projektplanung und Anlagenbau haben insgesamt gut drei Jahre gedauert.

Wo liegen die Herausforderungen?

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Mit Wasserstoff betriebene Flurförderzeuge bieten Synergieeffekte mit der H2-Nutzung in der Distributionslogistik oder der Industrieproduktion, wodurch insgesamt die Wirtschaftlichkeit verbessert wird. Die Intralogistik kann hier als Einstieg genutzt werden. So setzt das BMW-Werk in Leipzig bereits seit Jahren auf BZ-Gabelstapler und nutzt zudem seit September 2022 in der Lackiererei einen flexiblen Wasserstoffbrenner (s. Kasten).

Eine der größten Herausforderungen liegt gerade in der Infrastruktur: Wasserstoff ist noch nicht flächendeckend verfügbar. Und nur grünes H2-Gas leistet einen Beitrag, um die Klimaziele zu erreichen. Skaleneffekte sind dabei wichtig, um die Kosten der H2-Herstellung zu senken. Wirkungsgrad und Effizienz müssen sowohl bei der Erzeugung als auch bei der Rückumwandlung weiter verbessert werden. Linde MH und der Mutterkonzern KION Group haben bereits mehrere Millionen Euro in die Entwicklung und Produktion der Brennstoffzellensysteme sowie die Errichtung der Wasserstoffinfrastruktur mit Betankungsanlage investiert.

Nachdem aktuell das erste eigene 24-Volt-System für Lagertechnikgeräte auf den Markt gekommen ist, steht als Nächstes die Entwicklung eines 48-Volt-Brennstoffzellensystems auf der Agenda. Ein Förderbescheid dafür liegt bereits vor. Als Hersteller von eigenen Brennstoffzellensystemen und Lithium-Ionen-Batterien hat man beispielsweise die Chance, eigene Brennstoffzellensysteme zu konzipieren, die eine größere Flexibilität bei der Fahrzeugkonstruktion erlauben.

PEM-Elektrolyseur erzeugt 50 kg H2 pro Tag

Die Anlagenteile für die neue H2-Produktion in Aschaffenburg verteilen sich auf mehrere Module. Das Herzstück ist ein PEM-Elektrolyseur, der auf eine Produktionsmenge von 50 Kilogramm H2 pro Tag eingestellt ist. Hier wird gereinigtes und deionisiertes Trinkwasser mithilfe von grünem Strom in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. In einem weiteren Container wird der Wasserstoff stufenweise auf 450 bar komprimiert. Anschließend gelangt das grüne Gas über Rohrleitungen und Ventile in die Hochdruckspeicher. Ein gesteuertes Ventilsystem regelt die Zuleitung zur Ausgabe an die Zapfsäule. Mitarbeiter schließen die Fahrzeuge hier an, und innerhalb kurzer Zeit ist der Tankvorgang abgeschlossen. Der Hochdruckspeicher ist so ausgelegt, dass er bei 450 bar bis zu 120 kg H2 speichern kann, so können auch die Tankspitzen beim Schichtwechsel gedeckt werden.

Insgesamt sind nun 21 Gegengewichtsstapler mit BZ-Hybridsystem bei Linde im Einsatz. Darunter zwölf des Modells E50 mit fünf Tonnen Tragfähigkeit sowie neun des E35 mit 3,5 Tonnen Tragfähigkeit. Sie alle ersetzen Modelle mit Verbrennungsmotor. Als Teil der Werksflotte übernehmen sie unter anderem das Be- und Entladen von Lkw und die Versorgung der Montagebänder mit großen und schweren Komponenten, wie beispielsweise Gegengewichten, vormontierten Rahmen oder Fahrerkabinen. Im BZ-System reagieren der Wasserstoff und der Sauerstoff der Umgebungsluft. Die erzeugte elektrische Energie lädt so eine Lithium-Ionen-Batterie auf, die den Stapler antreibt. Ein Energiemanager steuert und plant den Energiebedarf am gesamten Standort, vermeidet Lastspitzen und dient der Kostenoptimierung.

Wo wird das BZ-System eingesetzt?

Das BZ-System HyPower 24V mit 7 kW Leistung ist auf die eigenen Flurförderzeuge zugeschnitten und wurde speziell für Einsätze im innerbetrieblichen Materialfluss entwickelt. Durch die Abstimmung mit der leistungsfähigen Lithium-Ionen-Batterie des Hybridsystems werden die BZ-Stacks geschont, was die Lebensdauer verlängert. Auch der Geräuschpegel wurde optimiert. Das System ist vernetzt und kann so Daten über den Zustand und die Nutzung über die Cloud austauschen.

Linde MH nutzt bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten einen Prototyp mit BZ-Antrieb. Seit 2010 sind die BZ-Stapler in die Serienproduktion integriert. Bereits heute können 80 Prozent der Gegengewichtsstapler, Schlepper und Hochhubwagen mit H2-Antrieb bestellt werden. In Studien und Projekten zeigte Linde MH, unter welchen Voraussetzungen die Fahrzeuge mit BZ heute schon wirtschaftlich sind: nämlich wenn vor Ort bereits eine Wasserstoffinfrastruktur vorhanden ist oder hochreiner Wasserstoff als Abfallprodukt im betrieblichen Prozess anfällt. „Ab zwanzig Geräten im Mehrschichtbetrieb mit hohen jährlichen Betriebsstunden kann die Umstellung aktuell schon wirtschaftlich lohnend sein“, sagt Sebastian Stoll. Er arbeitet als Programmmanager im Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) bei der NOW.

In den USA sind 50.000 BZ-Flurförderzeuge im Einsatz

Der Markt für BZ-Flurförderzeuge in der EU birgt ein großes Potenzial. Jährlich werden in Europa im Segment der Gegengewichtsstapler rund 70.000 Geräte mit Verbrennungsmotor (Klasse 4/5) abgesetzt, die durch elektrische Antriebe ersetzt werden könnten. Zusätzlich werden jährlich etwa 60.000 bis 80.000 Klasse-1-Flurförderfahrzeuge mit Blei-Säure-Batterien (BSB) durch Neugeräte ersetzt. Beide stellen zusammen das theoretische Potenzial für dieses Segment dar, berichtet Stoll. „Leitmarkt für BZ-Flurförderzeuge sind derzeit ganz klar die USA, wo Stand Mitte 2022 über 50.000 Flurförderzeuge mit BZ im Einsatz sind – mit stark wachsender Tendenz.“

Um Aussagen über zukünftige Marktpotenziale in der EU treffen zu können, sei es nötig, die Megatrends und Treiber in der Intralogistik zu erkennen, erläutert Stoll. Der wachsende Anteil des Online-Handels mit immer kürzeren Bearbeitungszeiten, Digitalisierung und Outsourcing geht einher mit mehr Kostendruck und Wettbewerb. Auf der anderen Seite muss auch diese Branche dekarbonisiert werden. Andere Luftschadstoffe und Lärmemissionen müssen ebenfalls verringert werden.

Dem wachsenden Interesse kommen die Hersteller von BZ-Gabelstaplern nach: Beispielsweise hat der US-Marktführer Plug Power im Duisburger Hafen sein europäisches Entwicklungszentrum angesiedelt. Deutsche Brennstoffzellen für die Intralogistik kommen von Globe Fuel Cell Systems, FES Fahrzeug Entwicklung Sachsen oder eben von Linde MH. Die drei Unternehmen sind auch Mitglied im Clean Intralogistics Net (CIN). Bei diesem Netzwerk handelt es sich um einen vom Bundesverkehrsministerium unterstützten Zusammenschluss von insgesamt zwölf Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, der das Ziel verfolgt, der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie in der Intralogistik in Deutschland und Europa zum Durchbruch zu verhelfen.

BMW nutzt flexiblen H2-Brenner im Werk in Leipzig

Das Werk der BMW Group in Leipzig pilotiert nach eigenen Angaben als erste Autoproduktion in der Lackiererei mit der innovativen Brennertechnologie. Diese kann Wasserstoff und Methan (CH4) sowohl allein als auch im Gemisch verbrennen. Der Einsatz des Doppelbrenners erfolgt zunächst im Pilotbetrieb. Derzeit hat das Werk in Leipzig über 130 BZ-betriebene Flurförderfahrzeuge in seiner Flotte. Fünf H2-Tankstellen befinden sich auf dem Werksgelände. Die jüngste davon ermöglicht erstmals sogar vollautomatisierte Tankvorgänge.

Auch in der Logistik jenseits der Werkstore erprobt die BMW Group gemeinsam mit Partnern den Einsatz von Wasserstoff zur Dekarbonisierung der Transportlogistik und engagiert sich in zwei Forschungsprojekten. Bei H2Haul geht es um die Entwicklung und Pilotierung von 16 Brennstoffzellen-Lkw in Belgien, Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Beim Projekt HyCET treibt BMW als Konsortialführer die Entwicklung von H2-LKW mit Verbrennungsmotor in der Transportlogistik voran.

Autor: Niels Hendrik Petersen

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