Wissenswertes zum Thema Wasserstoff und Brennstoffzellen Teil 10.7

Teil 10.7 | Luftfahrt

Wasserstoff ist der einzige bekannte Treibstoff, der auch für Flugzeuge geeignet ist, aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden kann und kein CO2 und praktisch keine Stickoxide in den sensiblen hohen Luftschichten hinterlässt. Herkömmlicher Flugzeugtreibstoff verursacht bei der Verbrennung, ähnlich wie alle anderen Kohlenwasserstoffverbindungen, große Emissionsmengen. So werden bei der Verbrennung von einer Tonne Kerosin 3,2 t CO2 erzeugt, das viele Jahre in der oberen Atmosphäre wirksam bleibt. Während CO2 langfristig die stärkste Klimawirkung hat, sind kurzfristig in den hohen Luftschichten Stickoxide und Kondensstreifen noch problematischer. Wasserstoff bringt also einen wesentlichen Vorteil gegenüber fossilem Kerosin, aber keinen klimawissenschaftlichen Freiflugschein.

Als Speicherform hat kryogener, flüssiger Wasserstoff klar die Nase vorn. Beim Einsatz von LH2 als Treibstoff muss berücksichtigt werden, dass der gewichtsspezifische Energieinhalt von Wasserstoff 2,8-mal höher ist als der von Kerosin, so dass die Nutzlast des Flugzeuges vergrößert werden kann. Das benötigte Volumen für die gleiche Energiemenge ist jedoch 4-mal so groß, so dass sich Platzprobleme ergeben und Änderungen in der Konfiguration des Flugzeuges notwendig sind. Eine Konstruktionsvariante aus damaligen Zeiten sah daher die Platzierung der H2-Tanks auf dem Rücken des Fliegers vor (Hukepack, s. Abb. 50).

Auch in der Luftfahrtbranche wird schon lange über Wasserstoff nachgedacht. Eine Studie der US Space Agency bezeugte bereits 1976 die generelle Realisierbarkeit von LH2-Flughäfen: „Es besteht völlige Übereinstimmung darin, dass das generelle Konzept der Anpassung eines Großflughafens nebst den Nebenfunktionen an den Betrieb mit einer wasserstoffbetriebenen Flugzeugflotte technisch und organisatorisch machbar ist und dass diese Anpassung nicht unbedingt den Betrieb mit konventionellen Flugzeugen auf dem Flughafen beeinflussen muss.“ Weiterhin hieß es: „Keine der Arbeitsgruppen fand irgendwelche signifikanten Probleme bei der Verwendung von flüssigem Wasserstoff im Flughafenumfeld.” [Hoyt, 1976]

Am 15. April 1988 flog das erste Wasserstoffflugzeug Tu 155 für 21 Minuten über die Umgebung von Moskau. Das Unternehmen Tupolev erprobte damals das Laborflugzeug, dessen drittes Triebwerk alternativ mit Flüssigwasserstoff beziehungsweise Flüssigerdgas betrieben wurde. Ab 1990 arbeiteten mehrere deutsche und russische Firmen an einer Tupolev T-156, einer Dornier DO 328 und einem Airbus A 310. Anfang der 2000er Jahre schlossen sich dann insgesamt 35 Europäische Firmen im Rahmen des Cryoplane-Programms zusammen, um den Einsatz von kryogenem Treibstoff (LH2) in der Luftfahrt zu analysieren.

 Abb. 50: Konzept des Cryoplanes A310
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Quelle: BAM

In kleinerer Dimension gibt es bereits erfolgreich verlaufene praktische Versuche, auch Brennstoffzellen in der Luftfahrt zum Einsatz zu bringen. Gemeinsam untersuchten beispielsweise verschiedene Partner aus Europa und den USA den Einsatz von Brennstoffzellen in der Flugzeugindustrie. Dazu wurde ein Motorsegler vom Typ Super Dimona von Diamond Aircraft Industries mit Brennstoffzellen als Antrieb ausgerüstet. Das bemannte Flugzeug hob 2008 mithilfe einer Lithium-Ionen-Batterie ab, flog dann aber 20 Minuten mit Brennstoffzellenantrieb. Diamond Aircraft Industries und Siemens entwickeln mittlerweile gemeinsam ein mehrmotoriges Hybrid-Elektroflugzeug mit Elektroantrieb und Verbrennungsmotor.

Wenn es um neue Flugzeugantriebe geht, darf natürlich auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nicht fehlen. Das DLR stellte mit einem umgebauten Elektrosegler, der Antares, einen Höhenweltrekord auf. Die Antares DLR-H2 wurde im Gegensatz zur Dimona ausschließlich von Brennstoffzellen angetrieben. Der Prototyp wurde 2008 in Stuttgart vorgestellt, der offizielle Erstflug erfolgte 2009 in Hamburg.

2016 stellte das DLR beim Erstflug ein etwas größeres Modell mit immerhin vier Sitzen vor: den Prototyp der HY4. Mitentwickelt wurde die HY4 von der DLR-Ausgründung H2Fly GmbH, dem slowenischen Flugzeugbauer Pipistrel und dem BZ-Hersteller Cummins. Reichweiten von 750 bis 1.500 km waren damit möglich, je nach Geschwindigkeit. Diese lag allerdings maximal bei 200 km/h. Beim Start half auch hier wieder eine Batterie. Im Herbst 2020 hob die jüngste Version der HY4 in Slowenien erneut ab – insgesamt 32-mal innerhalb von vier Tagen mit bis zu zwei Stunden Flugdauer. Das Forschungsteam hatte sich drei Monate abgekapselt, um die Versuche trotz der Coronapandemie durchführen zu können. Seit 2016 hat sich viel getan. Mittlerweile ist der Antrieb nicht nur funktionsfähig, sondern hat auch eine auf Redundanz ausgelegte Sicherheitsarchitektur. Für Ende 2020 hat die HY4 eine Erlaubnis für Testflüge am Stuttgarter Flughafen, die bis Mai 2021 laufen sollen. Ab 2022 soll dann die siebte Generation des Antriebssystems in die Praxistests gehen, mit der achten Generation sollen noch vor Ende des Jahrzehnts Lufttaxen für bis zu einer Stunde abheben. Gesetzliche Vorschriften sind hier oft zeitraubender als die technische Entwicklung selbst. Bis 2040 soll es laut DLR aber möglich werden, ein noch nicht genau beschriebenes „Luftfahrzeug“ mit 70 Sitzen und 2.000 Kilometern Reichweite zur Einsatzreife zu bringen.

Abb. 51: Die von der DLR-Ausgründung H2Fly entwickelte HY4 hob 2016 zum ersten Mal ab und wurde seitdem stetig weiterentwickelt.
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Quelle: HyFly

In einem weiteren Projekt arbeitet das DLR seit August 2020 zusammen mit MTU Aero Engines an einem BZ-Antriebsstrang für einen Demonstrator auf Basis einer Dornier. Der Erstflug könnte 2026 erfolgen.

Für die Zukunft stehen nicht nur einzelne Flugzeuge, sondern ganze Konzepte im Fokus. Rund 45 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Instituten des DLR arbeiten derzeit an Technologiebausteinen, die im Projekt EXACT (Exploration of Electric Aircraft Concepts and Technologies) zusammenlaufen. Ein ganzheitliches Konzept für den umweltfreundlichen Luftverkehr will das DLR in den nächsten vier Jahren präsentieren.

Daneben tummelt sich eine ganze Reihe von Start-ups und Partnerschaften alter und neuer Unternehmen.

Im Rahmen des von der britischen Regierung geförderten Projekts HyFlyer hob 2020 das erste Brennstoffzellen-Elektro-Flugzeug in kommerzieller Größe ab, gebaut vom Start-up ZeroAvia.

Pragmatisch ist der Umrüstansatz des Elektroantriebherstellers MagniX aus den USA und die neu gegründete Universal Hydrogen. Letzteres Unternehmen arbeitet an einem Umrüstsatz, mit dem gängige Flugzeugtypen auf Brennstoffzellenantriebe umgebaut werden können. Im Gespräch sind Modelle wie die De Havilland Canada DHC8-Q300 (ein verbreiteter 40-Sitzer, auch bekannt als Dash 8 oder Bombardier Q8) oder die vergleichbare ATR 42 von Avions de Transport Régional. Weltweit kämen nach Angaben von Universal Hydrogen rund 2.200 Regionalflugzeuge für die Umrüstung infrage, bis 2024 könnten erste kommerzielle Umrüstsets fertig sein. Das Unternehmen Plug Power kooperiert ebenfalls in Sachen Umrüstung, nämlich mit Universal Hydrogen. Universal Hydrogen ist diesbezüglich kein weißes Blatt: Die Firmengründer bringen Erfahrung aus der Luftfahrtbranche mit und nehmen auch die Wasserstofflogistik an den Flughäfen gleich mit ins Visier. Auch hier gelten die regulatorischen Anforderungen als größte Hürde.

Die Infrastruktur ist auch Thema bei Avions Mauboussin, einem französischen Hersteller von Kleinflugzeugen, der deshalb zunächst auf Hybridkonzepte setzt. Der Zweisitzer Alérion M1h für On-Demand-Transport mit einem 80-kW-Hybridantrieb kann elektrisch starten und landen, der Flug bei 250 Stundenkilometern erfolgt bisher mit einem Verbrennungsmotor. 2022 wird der erste Flug im Hybrid-, 2024 im H2-Modus mit Brennstoffzelle angepeilt. Im Anschluss daran soll dann die Alcyon M3c als Sechssitzer gebaut werden und nach grober Planung 2026 abheben und 1.500 km weit fliegen.

Bis die ganz großen Flieger mit Brennstoffzellen unterwegs sind, wird es allerdings noch etwas dauern: Airbus kündigte im September 2020 an, bis zum Jahr 2035 einen Wasserstofflieger mit mehreren Hundert Sitzplätzen herausbringen zu wollen. Wie der aussehen soll, ist noch offen. Der Flugzeugbauer hat drei Entwürfe vorgestellt, darunter eine Propellermaschine für Kurzstrecken und einen futuristischen Nurflügler. Auch bei der Antriebstechnik sind noch alle Varianten im Rennen. Es könnten modifizierte Gasturbinen eingesetzt werden, Brennstoffzellen oder vielleicht auch einfach synthetische Kraftstoffe. Darauf, dass das Interesse an Brennstoffzellen durchaus echt ist, deutet allerdings die neue Partnerschaft von Airbus mit dem BSZ-Stack-Hersteller ElringKlinger hin.

Bis die ersten Wasserstoffflieger abheben, könnte zumindest die Klimabilanz des Kerosins mithilfe von Wasserstoff verbessert werden. Die Raffinerie Heide in Norddeutschland erprobt im Reallabor Westküste100 die Herstellung von Kerosin aus Wasserstoff, der wiederum mit Strom aus Offshore-Windparks erzeugt wird. Doch auch hier wird es bis zu einer möglichen Wettbewerbsfähigkeit noch eine Weile dauern.

Abb. 52: Die Erzeugung von Kerosin aus grünem Wasserstoff ist ein Teil des Reallabors „Westküste 100“ in Schleswig-Holstein.

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Quelle: Westküste100

Eine weitere Möglichkeit für den Einsatz von Brennstoffzellen in der Luftfahrt ist bis dahin die Energieversorgung nur einzelner Komponenten wie Bugradantrieb oder Notfallsystem. Die Brennstoffzelle könnte auf Dauer die Batterien ersetzen und hätte noch einige praktische Nebeneffekte: Das Wasser könnte für die Toilettenspülung genutzt werden, die sauerstoffarme Abluft zum Löschen von Feuern.

Wissenswertes zum Thema Wasserstoff und Brennstoffzellen

Die Technik von gestern, heute und morgen

Wissenswertes zum Thema Wasserstoff und Brennstoffzellen. Bewusst leicht verständlich gehalten und beschrieben. Es soll technikinteressierten als ein umfangreiches Literaturverzeichnis dienen.

Die grundlegend überarbeitete Neuauflage unseres Buches zu diesem Thema ist hier erhältlich. Aktuelle Entwicklungen wurden ergänzt, Überholtes entfernt. Neben den jüngsten Trends vermittelt dieses Buch – wie schon seine Vorgänger – die grundlegenden physikalischen Zusammenhänge, denn diese gelten ja bei allem Wandel nach wie vor.

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