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Beitrag von Sven Geitmann

14. Juni 2016

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Windenergie-Speicherung in Deutschlands Nordosten

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Windstrom im Vergleich zum Bedarf, © R. Hamelmann


Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in seiner Fassung von 2014 erlaubt im Falle einer Netzüberlastung die „Reduzierung der Einspeiseleistung“ von grünem Strom, verbunden allerdings mit der Pflicht, dies zu protokollieren. Bezahlen müssen dafür die Stromkunden, denn die Windparkeigner erhalten – auch wenn der Netzbetreiber den Windpark vom Netz nimmt – die übliche Einspeisevergütung. Und es wird reichlich Gebrauch von dieser Erlaubnis gemacht: Allein in Mecklenburg-Vorpommern (M-V) sind regelmäßig knapp 20 Windparks mit einer Leistung von jeweils über 20 MW betroffen.
Der Aufwand für die Stabilisierung des Netzes entwickelt sich geradezu dramatisch: Während 2014 für das Ab- und Anschalten von Windenergieanlagen 128 Mio. Euro anfielen, waren es 2015 bereits 329 Mio. €. Das Rauf- und Runterfahren konventioneller Kraftwerke erforderte 2014 den Betrag von 74 Mio. €, 2015 bereits 225 Mio. €. Zusätzlich erhöhten sich die Kosten für das Abrufen der Netzreserve von 92 Mio. 2014 auf 152 Mio. € in 2015.
Hierbei kann unterstellt werden, dass in vielen Fällen die Abschaltungen länger dauerten, als es der Zustand des Netzes erforderte, denn ein Wiederanfahren von Windparks gestaltet sich unter Umständen aufwendig. Offenbar bestand der Grund für die genannten Abschaltungen im Allgemeinen darin, dass die entsprechenden 110-kV-Leitungen und Trafostationen beim Übergang vom 110-kV-Verteilungsnetz zur 380-kV-Ebene wegen starken Windaufkommens überlastet waren. Dies bedeutet, dass ihre Auslegungen immer noch nicht an die Leistungen der seit Anfang der 1990er Jahre installierten Windparks angepasst worden sind. Deswegen tragen dann die konventionellen Kraftwerke mehr als notwendig zur Deckung des Strombedarfs bei, und die Möglichkeit zur Verminderung des CO2-Ausstoßes bleibt ungenutzt.
Notwendigkeit der Stromspeicherung 
Bislang war es so, dass die Stromproduktion bei geringem Bedarf zurückgefahren wird. Diese Notwendigkeit bestünde weiter, auch wenn das Übertragungsnetz für alle Belastungen hinreichend ausgelegt wäre. Selbst die optimierte Stromautobahn würde nichts nützen, wenn – wie beispielsweise am Pfingstmontag in den frühen Morgenstunden – für Industrie und Gewerbe Feiertag herrscht, private Haushalte als Verbraucher ausfallen, aber bei gutem Windaufkommen die regenerative Stromproduktion auf Hochtouren läuft. Wärmekraftwerke aller Art ließen sich zwar unterhalb des Arbeitspunktes betreiben (bei niedrigem Wirkungsgrad und hohem Verschleiß), aber die Abschaltung von regenerativen Anlagen ist einfacher.
Allein mittels Netzausbaus wird die Abschaltung von Wind- und Solaranlagen also nicht vermieden werden können. Da aber Wind- und Solarstrom entsprechend den aktuellen Zielvorgaben einen wachsenden Anteil im Netz aufweist und wegen der Diskontinuität des Wind- oder Strahlungsaufkommens Stromspeicher ohnehin notwendig sind, sollten sie frühzeitig in das Energieversorgungssystem einbezogen werden. Nur damit kann eine möglichst hohe Auslastung der installierten Technik gewährleistet werden, wodurch dann allerdings die Aufgabe, Regelleistung bereitzustellen, zumindest teilweise auf den grünen Sektor überginge.
Nachgewiesenermaßen eignet sich Wasserstoff – anders als Pump- und Druckluftspeicherkraftwerke – bestens, um Elektrizität in sehr großem Maßstab zu speichern (s. Abb. 1). H2-Speicherkraftwerke böten damit auch die Möglichkeit einer saisonalen Speicherung. Zudem könnten nationale Reserven für Strom und Kraftstoff angelegt werden, sobald die Untergrundspeicherung in Kavernen erfolgt.
Bislang unbeantwortet ist allerdings die Frage, wie die dafür benötigten Elektrolyseure ausgelegt werden sollten: Wenn der gesamte anfallende Windstrom in Form von Wasserstoff gespeichert werden sollte, zeigt ein Blick auf die typische Windlastkurve (Abb. 2, Printausgabe), dass ein entsprechend dimensionierter Elektrolyseur wegen der relativ wenigen Starkwindstunden kaum ausgelastet wäre. Ähnlich ist es, wenn nur Überschussstrom für die Elektrolyse genutzt werden sollte. Deswegen wird vorgeschlagen, nur einen Anteil des nicht bedarfsgerecht erzeugten Windstroms dafür zu verwenden (Abb. 3, Printausgabe).
Durch die Rückverstromung von Wasserstoff würde man positive Regelenergie erlangen, negative entstünde beim Zurückfahren der Elektrolyse. In der Summe sollte prinzipiell mehr Wasserstoff erzeugt werden, als in kurzen Zeiträumen zur Netzstabilisierung benötigt wird. Im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken für Regelleistung kann ein H2-Speicherkraftwerk dann außer Strom noch ein zweites Produkt anbieten: Grünen Wasserstoff als Kraftstoff für den Verkehrssektor oder als Grundstoff in der chemischen Industrie.
Dieser grüne Kraftstoff kann entsprechend der angegebenen Studie zu akzeptablen Kosten per Trailer an H2-Tankstellen im Umkreis von 300 km geliefert werden. Im Prinzip könnten also in ganz M-V Tankstellen von einem Wasserstoffspeicherkraftwerk versorgt werden. Durch die Ausnutzung von Synergieeffekten und über Mischkalkulationen könnte dabei der Preis für die grüne Regelenergie reduziert werden.
Ausbau der Wind-Wasserstoff-Speicherung 
Brennstoffzellen-Elektroautos (FCEV) stehen prinzipiell als Kunden parat. Zwei asiatische Hersteller sind mit ihren Fahrzeugen auch auf dem deutschen Markt vertreten, und heimische Automobilfabriken verfügen nach eigenen Angaben über serienreife Modelle. Einigermaßen zäh geht es allerdings mit den Betankungsmöglichkeiten voran: Während in einigen Ballungsräumen Deutschlands die dafür notwendigen 700-bar-Tankstellen mittlerweile zur Verfügung stehen beziehungsweise geplant sind, sieht es nordöstlich von Berlin und Hamburg in der Fläche noch nicht gut aus. Bislang laufen lediglich Planungen für Neuruppin und Rostock. Der verbleibende Leerraum könnte mit 300-bar-Teilbetankung für etwa ein Drittel der üblichen Reichweite überbrückt werden, wie es anlässlich des 22. Stralsunder Energiesymposiums Ende 2015 demonstriert wurde. Eine dementsprechende für die Öffentlichkeit zugelassene Tankstelle existiert seit 2003 in Barth.
Im Übrigen könnte bei der Einführung der FCEV-Fahrzeuge in der nächsten Zeit neuer Schub entstehen, hat doch die Manipulation der Abgaswerte gezeigt, dass deren gesetzlich geforderte Reduzierung praktisch kaum mehr zu erreichen ist. Da erscheint es schon fast peinlich, dass das California Air Resources Board (CARB) vorgeschlagen hat, der VW-Konzern solle anstelle einer Strafzahlung dazu gedrängt werden, dieses Geld in die Entwicklung alternativer Antriebe zu investieren.
Indessen gilt es ergänzend zum Mobilitätssektor weitere Verbraucher für grünen Wasserstoff zu finden. Dazu schlägt die Initiative performing energy – eine Arbeitsgruppe innerhalb des DWV – vor, den in Raffinerien erforderlichen Wasserstoff nicht aus Erdgas, sondern durch umweltfreundliche Elektrolyse mit Strom aus regenerativen Quellen zu gewinnen. Ein wirtschaftlicher Anreiz könnte dabei die Erfüllung von EU-Anforderungen zur Reduzierung des Treibhausgaseffekts sein. Auf diese Weise gäbe es einen ersten business case für grünen Wasserstoff.
Aus diesen Überlegungen resultiert, dass auch in Nordost-Deutschland neue Verbraucher für grünen Wasserstoff gefunden werden müssen, damit beim weiteren Ausbau der Windenergiegewinnung restriktionsfrei agiert werden kann. Eine ausreichend große Speichermöglichkeit für grünen Strom wäre dabei die Voraussetzung für eine anhaltend steigerungsfähige Wertschöpfung mittels Windenergienutzung.
Wind-Wasserstoff-Projekte im Nordosten 
Bisher wurde lediglich an einem einzigen Schwerpunkt der Windstromerzeugung in M-V eine Pilotanlage errichtet, um durch Speicherung von Strom in Form von Wasserstoff die Netzentlastung zu erproben: Die WIND-projekt GmbH hat 2013 in Grapzow einen 1-MW-Elektrolyseur angefahren, der erzeugte Wasserstoff wird hauptsächlich für den Eigenbedarf genutzt. Im Land Brandenburg läuft seit 2011 das Enertrag-Hybridkraftwerk, das grünen Wasserstoff speichert, ihn als Regelleistung oder als Kraftstoff abgibt und auch ins Erdgasnetz einspeisen kann. Zudem hat E.ON seit 2013 bei Falkenhagen eine Power-to-Gas-Anlage (2 MW Elektrolyseleistung) in Betrieb. Dort wird der Wasserstoff ausschließlich dem Erdgasnetz zugesetzt und kann somit nicht mehr für stationäre oder mobile Niedertemperatur-Brennstoffzellen eingesetzt werden. Die Nutzung dieses grünen Wasserstoffs für BZ-Elektroautos entfällt also.
Derzeit existieren allerdings noch diverse Hindernisse in der geltenden nationalen sowie der EU-Gesetzgebung. Beispielsweise werden Biogas und Ethanol als grüne Kraftstoffe anerkannt, grüner Wasserstoff hingegen nicht. Ein Unternehmen, das grünen Wasserstoff rückverstromt als Regelenergie und Wasserstoff als grünen Kraftstoff verkaufen will, ist schlichtweg verboten. Und Änderungen im legislativen Bereich umzusetzen dauert in der Regel sehr lange. Deswegen bleibt derzeit nur die Möglichkeit, überzeugende Demonstrationsprojekte zu starten und mit praktischen Erfahrungen die Einführung des Fortschritts zu beflügeln.
Fazit 
Wir sehen deshalb die Aufgabe der Politik in Mecklenburg-Vorpommern darin, hier aktiv zu werden und dem Land mit eigenen Förderprogrammen zu der ihm gebührenden Vorbildwirkung zu verhelfen. Gemeinsam mit benachbarten Bundesländern (mit Brandenburg bestehen dazu bereits Ansätze innerhalb von MORO) könnte eine starke europäische Region entwickelt werden. So könnte beispielsweise die Inbetriebnahme des zweiten Offshore-Windparks vor der Küste von M-V im September 2015 genutzt werden, um am Einspeisepunkt in Bentwisch ein H2-Speicherkraftwerk zu errichten. Ebenso ist Lubmin, wo weiterer Offshore-Windstrom eingespeist werden soll, wegen seiner exzellenten Anbindung an das Erdgasnetz ein prädestinierter Standort. Eine PtG-Anlage an diesen Stellen könnte das Hochspannungsnetz in Richtung Süden wirksam entlasten.
Das alles setzt voraus, dass sowohl die Landesregierung als auch der Bund gewillt sind, die Windindustrie im strukturschwachen Nordosten zu einer krisenfesten Produktion für grüne Elektrizität und sauberen Kraftstoff über den eigenen Bedarf hinaus zu entwickeln, was ein beträchtlicher Gewinn für die Region wäre.
Der Beitrag versteht sich als Zusammenfassung einiger im Rahmen des 22. Stralsunder Energiesymposiums diskutierter Themen. Die Tagungsbände liegen unter: www.fh-stralsund.de/forschung/institute/ires/veranstaltungen
Autoren:
Prof. Jochen Lehmann, IFEU e.V. / FH Stralsund, Dr. Hans Sandlaß, Fachberater Energiesysteme, Berlin

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