H2 ist Trend

H2 ist Trend

Wasserstoff ist derzeit – zumindest im Energiesektor – in aller Munde. Dies lässt sich auch anhand der Trendforschung nachweisen. So bietet der US-Konzern Google einen Online-Dienst an, der Informationen darüber bereitstellt, welche Begriffe bei der Nutzung der Google-Suchmaschine über die Zeit wie häufig eingegeben werden. Die Ergebnisse werden in Relation zum totalen Suchaufkommen gesetzt und sind in wöchentlicher Auflösung seit 2004 verfügbar.

Sehr plakativ lässt sich mit diesem Tool veranschaulichen, wie groß das Interesse an gewissen Themen war und ist. So ist unter anderem zu erkennen, dass das Keyword „Wasserstoff“ seit Ende 2018 deutlich häufiger gegoogelt wird als in den 15 Jahren zuvor. In den Jahren 2020 und 2021 gab es jeweils Peaks. Insgesamt ist die Popularität dieses Begriffs seitdem auf einem relativ hohen Niveau.

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Nach „Wasserstoff“ wird deutlich häufiger gesucht als beispielsweise nach „Elektromobilität“, „Brennstoffzelle“, „Windkraft“ oder auch nach „Digitalisierung“. Noch beliebter ist hingegen – abgesehen von den Peak-Phasen 2020 und 2021 – „Photovoltaik“. Auch das englische Wort „hydrogen“ wird für sehr viel mehr Suchanfragen verwendet (s. Abb.) als beispielsweise „fuel cell“, „digitizing“ und „photovoltaic“ oder selbst „PV“, wobei „hydrogen“ über die fast 20 Jahre fast immer gleich beliebt war, während nach „fuel cell“ Anfang des Jahrhunderts sehr viel mehr geforscht wurde.

https://trends.google.com

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Deutschland bekommt Steuerkreis für H2-Normung

Deutschland bekommt Steuerkreis für H2-Normung

Normung ist zwar ein sehr trockenes, aber auch ein sehr wichtiges Thema – insbesondere, wenn ein komplett neuer Wirtschaftszweig etabliert werden soll. Aus diesem Grund haben verschiedene Institutionen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Anfang August 2023 einen Steuerungskreis für Wasserstoffnormung ins Leben gerufen.

Wie es in einer Pressemeldung heißt, ist dieses 26-köpfige Gremium für die „strategische Begleitung der Arbeiten an der Normungsroadmap Wasserstofftechnologien“ gedacht. Ziel ist, durch eine „abgestimmte Vorgehensweise für die technische Regelsetzung den Ausbau von Wasserstofftechnologien in Deutschland zu beschleunigen“ und eine Wasserstoffroadmap auf den Weg zu bringen, durch die der Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft sowie einer entsprechenden -infrastruktur unterstützen werden soll.

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Zur Leiterin dieses Steuerkreises wurde Dr. Kirsten Westphal, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), gewählt. Westphal erklärte: „Die Roadmap wird dabei helfen, Bedarfe zu identifizieren und konkrete Umsetzungsprojekte im Bereich der technischen Regelsetzung von Wasserstofftechnologien direkt zu initiieren.“

Institutionelle Unterstützung erhält das Gremium vom Deutschen Institut für Normung (DIN), Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), Verein für die Normung und Weiterentwicklung des Bahnwesens (NWB), Verband der Automobilindustrie (VDA), Verein Deutscher Ingenieure (VDI), Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sowie von der Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE). Finanzielle Förderung kommt seit Januar 2023 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

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Die offizielle Auftaktveranstaltung zu diesem bis November 2025 laufenden Verbundprojekt fand im März 2023 online mit 1.300 Teilnehmenden statt. Die geplante H2-Roadmap soll jetzt in insgesamt 39 Arbeitsgruppen in einem „offenen und transparenten Prozess“, an dem sich „alle Interessierten beteiligen können“, erarbeitet werden. Ein erster Entwurf soll im Sommer 2024 vorliegen.

www.normungsroadmap-h2.de

Ein Wasserstoffsystem für jedermann

Ein Wasserstoffsystem für jedermann

Das polnische Virtud

Vor rund 20 Jahren weckte das Sonnenenergie- und Passivhauskonzept die Begeisterung des Ehepaares Napierała. Die beiden fuhren damals regelmäßig nach Freiburg und lernten dort die Pioniere der Photovoltaiktechnologie kennen. „Ich habe dort sehr viele Ideen mitbekommen. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Bei den Messen kamen wir zusammen und haben unsere Visionen und Gedanken ausgetauscht. Es war eine fantastische Stimmung“, schwärmt Piotr Napierała. Insbesondere die Passivhausidee hat ihn bis heute geprägt. Sein Augenmerk liegt stets auf den Vorteilen effizienter Mikronetze und energetischer Insellösungen. „Das ist einfach das, was mich begeistert. Bei meinen Besuchen in Freiburg habe ich mich gern mit den Lösungen von Hydrogenics beschäftigt und mit Leuten dort darüber diskutiert. Ich mag kleine, geschlossene Strukturen, die ich optimieren kann“, erzählt der gelernte Physiker.

Dorota und Piotr Napierała haben ihr Ziel klar vor Augen: Mit dem Wasserstoffhaus von Virtud sollen dessen jährlichen Energiekosten bei nicht mehr als 500 zl liegen, was ungefähr 123 Euro entspricht. Piotr hält nichts von Großprojekten und ist auch nicht von den überdimensionierten Wasserstoffplänen vieler prominenter Großunternehmen überzeugt. Er glaubt, dass sich in vielen kleinen Schritten und mit passgenauen Maßnahmen vor Ort, insbesondere mit Wasserstoff, viel erreichen lässt.

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Großes Potential in der polnischen PV-Branche

Ehepaar Napierała empfängt seine Geschäftspartner und Interessenten in einem schönen, weißen Neubau in einem Vorort von Poznań auf dem Firmengelände von Virtud. Die beiden Inhaber eines Photovoltaikinstallationsbetriebs besaßen in der Vergangenheit schon mehrere Unternehmen in der Erneuerbare-Energien-Branche. Seit 2015 sind sie auf PV-Technik spezialisiert. Die Entwicklung des Virtud-Wasserstoffsystems verstehen die Eheleute als logische Weiterentwicklung zur Verbreitung erneuerbarer Energien in der ganzen Welt – speziell in Polen, wo die Photovoltaikbranche gerade boomt.

Ende Januar dieses Jahres betrug die Gesamtleistung installierter PV-Anlagen bei dem östlichen Nachbarn Deutschlands insgesamt über 12,5 GW. Im Jahr davor lag sie noch bei 7,6 GW. Damit hat sich die Photovoltaikleistung in Polen binnen eines Jahres fast verdoppelt. Auf Sonnenenergie entfällt damit gut 54 Prozent der gesamten Erneuerbare-Energien-Leistung in Polen.

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Autoakkus als Solarstromspeicher

Mit der massiven Steigerung der Stromproduktion aus Photovoltaik kommen aber auch große Herausforderungen auf die Branche zu. Es geht vor allem um die Energiespeicherung in den Nachtstunden und während der sonnenarmen Jahreszeiten Herbst und Winter.

Virtud hat diese Probleme auf eine interessante Art gelöst. Statt horrende Summen für Energiespeicher auszugeben, hat das Unternehmen für eine relativ kleine Summe große Mengen an gebrauchten Batterien aus dem in Polen beliebten Nissan Leaf ersteigert. Die Batterien werden zu Blöcken zusammengefügt, die die tagsüber produzierte Solarenergie speichern und in den Nachtstunden wieder abgeben können. Der Unternehmer rechnet vor, dass der Preis der Lösung mit den E-Autobatterien lediglich einem Zwölftel des Preises für einen neuen Energiespeicher entspricht.

Wenn man aber die Schwankungen zwischen den Sommer- und Wintermonaten überwinden will, reichen die Batterien nicht aus. In diesem Fall ist Wasserstoff gefragt. „Mithilfe von Sonne und Wind produzieren wir grünen Wasserstoff, der in den Zeiten des Jahres, in denen der Bedarf am größten ist, als Energieträger dienen wird”, erklärt Piotr Napierała.

Weiterentwicklung der Energiebranche

Dass sich die erneuerbaren Energien stetig weiterentwickeln und der Wasserstoff nur ein logischer Schritt ist, davon sind die Napierałas überzeugt. Als Unternehmer haben sie in Polen schon mehrere Etappen der Entwicklung der Erneuerbaren mitgemacht und immer wieder festgestellt, wie dynamisch dieser Prozess abgelaufen ist. Das gilt auch für die bürokratischen und rechtlichen Aspekte, wie Dorota Napierała ausführt. Sie ist für alle Genehmigungen und Anträge im Unternehmen verantwortlich. „Beim Wasserstoff liegt ein langer Weg des Lernens vor uns“, sagt sie.

In Polen wurden in den letzten Jahrzehnten viele sehr komplexe Gesetze zu erneuerbaren Energien erlassen. Im Jahr 2014 wurde die Einspeisung des Stroms ins Netz möglich gemacht. Für die Buchhaltung und Verwaltung war das eine ganz neue Welt. Frau Napierała hat viel Zeit mit Gesprächen und Telefonaten mit den zuständigen Behörden verbracht, bis beide Seiten die neuen Gesetze verinnerlicht hatten. „Es ist immer ein Lernprozess. Wir lernen voneinander. Beim Wasserstoff wird es ähnlich sein. Die Behörden sind heute viel offener geworden. Bei Fragen und Unklarheiten rufen sie sogar an, und man geht die Formulare nochmals durch. Wir sind seit Jahren in einem beidseitigen Lern- und Kommunikationsprozess. Das macht alles leichter”, erklärt die Mitinhaberin von Virtud.

Ein Modell für die Zukunft

In dem 200-m2-Haus, das die Napierałas energetisch durchoptimieren und als Modellhaus präsentieren, fallen nicht nur die Nutzung der Sonnenenergie und eine Wärmepumpe auf, sondern auch der große Raum rechts des Eingangs. Hier steht ein 2,4-kW-Elektrolyseur des deutschen Herstellers Enapter, das erste von Piotr Napierała eingebaute Gerät. „Es sollen noch viele, viele weitere folgen“, sagt der Mittvierziger. Im Modulschrank sind noch weitere Geräte installiert, die unter anderem das Wasser reinigen. Es ist aber noch ausreichend Platz für weitere Elektrolyseure da.

Aus dem Vorführraum wird gerade ein Zugang zum H2-Speicher gelegt. Der Tank ist schon bestellt. Dann wird es möglich sein, Fahrzeuge mit Wasserstoff zu betanken. Das ist der nächste Schritt, an dem Piotr Napierała arbeitet.

Ein Landkreis wird zum H2-Pionier

Ein Landkreis wird zum H2-Pionier

Ein früherer Sportfernsehsender hat einmal mit dem Slogan „Mittendrin statt nur dabei“ für sich Werbung gemacht. Wären diese Worte deswegen nicht urheberrechtlich blockiert, könnte der Kreis Düren überlegen, sie für sich zu reklamieren. Denn noch mehr mittendrin im Rheinischen Revier zu liegen, ist nicht möglich. Die drei Braunkohletagebaue Inden, Hambach und Garzweiler befinden sich wenigstens zu großen Teilen innerhalb des Kreisgebietes. Was die Geschwindigkeit angeht, mit der Ideen für eine saubere Energietechnologie umgesetzt werden, ist der Kreis Düren nicht nur mittendrin, sondern ganz vorne mit dabei. Wasserstoff spielt dabei von Anfang an eine Schlüsselrolle.

Das größte kreiseigene Projekt ist der Umstieg der kompletten Bahn- und Bus-Flotte auf grünen Wasserstoff. Der nachhaltige Kraftstoff soll ab Anfang 2025 mit einer 9-MW-PEM-Elektrolyse direkt vor Ort hergestellt werden. Darüber hinaus werden derzeit immer mehr Wasserstoffprojekte überdurchschnittlich schnell sichtbar, die dem Kreis dabei helfen, sein Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein, zu erreichen (s. S. 26). Sie taugen außerdem auch als gutes Vorbild für andere. Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab, wie sie bei Jülich entstehen, gibt es noch nicht viele. Laut der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien IRENA waren weltweit 2021 nur vier Prozent des hergestellten Wasserstoffs grün.

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„Wir brauchen Pioniere, die vorangehen“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing, als er im Mai 2023 Förderbescheide über 81,6 Mio. Euro überreichte. Das Geld fließt unter anderem in den Aufbau der Elektrolyse, in die Anschaffung von 17 H2-Triebwagen, die bis 2026 die bisherigen Dieseltriebwagen ersetzen sollen, und in die Installation einer H2-Zugtankstelle auf Kreisgebiet. In einem anderen Projekt rüstet der Kreis die Flotte der Rurtalbus GmbH um. Aktuell fahren fünf H2-getriebene Busse durch den Kreis. Bis Ende des kommenden Jahres sollen 20 weitere über die Straßen des Kreises rollen.

Die Pionierleistung im Kreis Düren sieht Minister Wissing vor allem darin, dass nicht nur mit Wasserstoff angetriebene Züge auf die Schiene gesetzt werden, sondern die klimaneutrale Produktion des grünen Wasserstoffs gleich mit realisiert wird. „Wasserstoffprojekte sind wunderbar. Aber wo soll der grüne Wasserstoff herkommen? Klug ist es, wenn man diese Frage direkt beantwortet und sagt: Am besten ist, wenn wir ihn selbst herstellen.“

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Vor den Fördergeldern angefangen

Dass ein solches Vorzeigeprojekt schon jetzt im Kreis Düren sichtbar wird, liegt daran, dass Landrat Wolfgang Spelthahn (s. Abb. 3) sehr früh angefangen hat, die Zukunft mit der Nutzung von Wasserstoff zu planen. Die 2020 im Strukturstärkungsgesetz festgelegten 14,8 Mrd. Euro Fördergelder für den Strukturwandel im Rheinischen Revier, der den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bedeutet, standen noch gar nicht in Aussicht, als er das Ziel formulierte, den Kreis Düren zu einer H2-Modellregion zu machen. „Wir haben schon früh die Vorteile von grünem Wasserstoff erkannt und mit Weitblick in die Zukunft investiert. So konnten wir uns einen erheblichen Vorsprung aufbauen“, sagt Landrat Spelthahn.

2020 hat der Bund den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2038 beschlossen und die Förder-Milliarden zugesagt. Ein Jahr später war der damalige NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart im Kreis Düren zu Besuch. Damals bezeichnete er das Rheinische Revier als „größtes Klimaschutzprojekt der Welt“. Die Aussage steht bis heute faktisch auf solidem Fundament: Das Rheinische Revier ist das größte Abbaugebiet für Braunkohle in Europa und damit zwangsweise ein großer Emittent für klimawirksame Gase wie CO2.

Was Pinkwart (FDP) nicht wissen konnte: Die schwarz-grüne Nachfolgeregierung sollte die Schlagzahl im Strukturwandel ein Jahr später noch einmal deutlich verschärfen. Nicht 2038 wird die letzte Braunkohle in Deutschlands Westen gefördert, sondern schon 2030.

Danach ist viel Kritik lautgeworden, beispielsweise aus der Industrie. Die bemängelt, dass der Ausstieg zu schnell sei, weil der Aufbau der neuen Technologien zu langsam funktioniere. So weigerte sich die Industrie- und Handelskammer Köln im Frühsommer, den sogenannten Reviervertrag 2.0 zu unterzeichnen. Beweggrund war eine einfache Rechnung: Um die mit dem Braunkohleausstieg wegfallende Energie auszugleichen, müssten im Revier 1.500 Windräder zusätzlich aufgebaut werden. Aktuell dauere es laut IHK Köln viel zu lange vom ersten Plan für ein Windrad bis zur Inbetriebnahme, nämlich sieben Jahre. Die Schlussfolgerung: Nicht nur die energieintensive Industrie im und um das Revier herum fürchtet um die Versorgungssicherheit.

Schon jetzt sichtbar

Aus diesem Szenario sticht der Kreis Düren mit seinen H2-Aktivitäten heraus. Denn ein Großteil der Projekte, die im Revier trotz alldem schon jetzt sichtbar werden, sind dort beheimatet. Der Solarpark mit einer Leistung von bis zu 9,2 MW, der einen Großteil der grünen Energie für die Elektrolyse liefern soll, ist schon installiert. Die 18.200 Solarmodule erreichen eine Leistung, mit der knapp 3.000 Haushalte versorgt werden können. Die CO2-Ersparnis pro Jahr liegt bei 4.604 Tonnen.

Die gewonnene Energie reicht allerdings nicht, um dauerhaft die angestrebte Zahl von 162 Kilogramm Wasserstoff pro Stunde bei angepeilten 4.000 bis 5.000 Volllaststunden pro Jahr herzustellen. Deswegen plant der Kreis, weitere regenerative Quellen zu nutzen. Errichtet und betrieben wird der Elektrolyseur von der HyDN GmbH, einer Gesellschaft, an der die Beteiligungsgesellschaft Kreis Düren mbH und die Messer Industriegase GmbH aus Bad Soden beteiligt sind.

Zeigen, was Wasserstoff kann

Ein wichtiges Anliegen des Kreises ist es, den Menschen zu zeigen, was Wasserstoff kann. Seit Ende 2022 ist ein sogenannter Kommandowagen bei der Rettungsdienst Kreis Düren AöR (Anstalt öffentlichen Rechts) mit Wasserstoffantrieb im Fuhrpark. Mit ihm, einem Hyundai Nexo, fahren die Führungskräfte zu ihren Einsätzen. Außerdem ist das Notwendigste an Bord, um Unfallopfer zu versorgen.

Noch in diesem Jahr soll auch ein erster Rettungswagen mit Wasserstoffantrieb in Dienst gestellt werden. Das Fahrzeug wird eine Spezialanfertigung, für die mehrere Unternehmen zusammenarbeiten. „Wenn wir einen mit Wasserstoff betriebenen Rettungswagen auf die Straßen im Kreisgebiet bringen, dann sehen die Menschen, dass diese Antriebsform in der alltäglichen Praxis funktioniert. Das sendet genau das richtige Signal an die Öffentlichkeit“, schilderte Landrat Wolfgang Spelthahn bei der Unterzeichnung der Absichtserklärung (Letter of Intent) für die Fertigung des H2-Rettungswagens.

Die Vorteile von Wasserstoff liegen laut Spelthahn auf der Hand: Anstelle der längeren Ladezyklen für Elektrofahrzeuge wird Wasserstoff getankt. Rund acht Minuten dauert der gesamte Vorgang bei diesem Fahrzeug. Die Reichweite ist höher als bei einem batteriegetriebenen Rettungswagen. Kurzum: Der Rettungswagen steht länger und flexibler zur Verfügung. Erst recht mit dem Aufbau der Wasserstofftankstellen im Kreisgebiet. Die erste in direkter Nähe zur Autobahn A4 wurde im September 2022 eröffnet und befindet sich seit dem Sommer im Gewerbegebiet „Im Großen Tal“ in Düren im Regelbetrieb.

Dass der Kreis auf Wasserstoff setzt, wird auch im sogenannten Welcome-Center in Düren sichtbar. Teil des Welcome-Centers ist ein H2-Infozentrum. Dieses bietet ab Oktober 2023 eine frei zugängliche Ausstellung, in der auf interaktive Art und Weise das Thema Wasserstoff von den Grundlagen über die Wertschöpfungsketten bis hin zur Anwendung aufgezeigt wird.

Eine H2-Messe fördert das Netzwerk

Eine weitere Botschaft transportiert der Kreis Düren einmal im Jahr auf seiner Wasserstoffmesse, die im August 2023 zum dritten Mal stattfindet: Ein Akteur allein kann zwar viel erreichen, aber die Energiewende mit Wasserstoff als wesentlicher Schlüsseltechnologie gelingt nur, wenn viele gemeinsam daran arbeiten. Die H2-Messe in der Jülicher Kulturmuschel bringt Expertinnen und Experten zusammen und bietet auch Bürgerinnen und Bürgern umfassende Informationsmöglichkeiten. Neue Ideen, Netzwerke und Kooperationen entstehen. Am Vorabend der eigentlichen Messe verleiht der Kreis den „Hygo“. Der Wasserstoff-Preis in den Kategorien Young Researchers, Start Up Innovation und Hydrogen Champion zeichnet Persönlichkeiten aus, die die Energiewende vorantreiben und dabei Wasserstoff als Energieträger der Zukunft im Fokus haben.

Von Anfang an Bestandteil dieser Ausstellung ist das Forschungszentrum Jülich. Die Grundlagenforschung, die hier zum Beispiel zur Elektrolyse oder zur Brennstoffzelle betrieben wird, findet seit vielen Jahren weltweit Beachtung. Das Forschungszentrum gehört zu den großen Triebfedern im Strukturwandel im Rheinischen Revier. Das wird ganz besonders an seinem jüngsten Institut deutlich.

Seit knapp zwei Jahren befindet sich das Institut für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) im Aufbau, das im sogenannten Brainergy Park bei Jülich wächst, einem Gewerbepark, dessen Versorgungsinfrastruktur nach dem neuesten Stand der Technik angelegt wird. Der Kreis Düren, der am Rand des Gebiets mit Partnern seine PEM-Elektrolyse aufbaut, gehört zu den Gesellschaftern des Parks. Das INW betreibt Grundlagenforschung zu den Themen Speicherung und Transport von Wasserstoff. Es bildet aber auch den Kern eines Clusters, in dem Forschungsergebnisse direkt in die Anwendung gebracht werden sollen.

Das Helmholtz-Cluster Wasserstoff (HC-H2) ist das größte Förderprojekt beim Strukturwandel im Rheinischen Revier mit einem Volumen von etwas mehr als einer Milliarde Euro. Und es ist das größte H2-Infrastrukturprojekt in Deutschland. Es soll eine Sogwirkung entwickeln und mit dem eigenen Wachstum auf über 500 Mitarbeitende dafür sorgen, dass sich in der Umgebung weitere Firmen ansiedeln, die mit Wasserstoff in die klimaneutrale Zukunft gehen wollen.

„Es hilft sehr, dass wir im Kreis Düren in einer Region angesiedelt sind, die so schnell ist, wenn es darum geht, Wasserstoff in die Anwendung zu bringen“, sagt INW-Direktor Andreas Peschel. „Es bringt das Thema Wasserstoff stark voran, wenn die Menschen beispielsweise sehen, wie Züge mit Wasserstoff rollen und Rettungswagen fahren.“

AutorInnen: Guido Jansen, Forschungszentrum Jülich GmbH, Institut für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) / Anne Schüssler, Kreis Düren

Grenzen überwinden – Strukturen wandeln – Wissen schaffen

Grenzen überwinden – Strukturen wandeln – Wissen schaffen

Die HyExperts-Region AachenPLUS steht vor der Herausforderung, den Strukturwandel durch den Braunkohleausstieg nachhaltig zu gestalten. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft soll dafür genutzt werden, um regionale Wertschöpfung zu erhalten, eine nachhaltige Energieversorgung aufzubauen und die Verkehrswende umzusetzen. Im Mittelpunkt stehen dabei der Austausch und die Vernetzung der unterschiedlichen Wasserstoffprojekte, um diese Erfahrungen für eine schnelle Umsetzung in der Region zu nutzen.

Im Westen gibt es viel Neues! Ob im industriellen Mittelstand, im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Schienenpersonennahverkehr (SPNV), in Quartierslösungen sowie in der Forschung wird im Südwesten Nordrhein-Westfalens zwischen der Rheinschiene im Osten und der Grenze zu Belgien sowie den Niederlanden im Westen Wasserstoff genutzt. Die HyExperts-Region AachenPLUS umfasst die Stadt und Städteregion Aachen, die Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg sowie die Kolpingstadt Kerpen und bringt alle Voraussetzungen mit, eine starke und nachhaltige Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Diese Vielzahl von Akteuren sorgt auch für eine große Zahl unterschiedlicher Ansätze und Bedarfe.

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Mit der RWTH Aachen, der FH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich verfügt die Region über herausragende Forschungskompetenzen. Gleichzeitig gibt es einen innovativen und agilen industriellen Mittelstand, der nahezu die gesamte Wasserstoffwertschöpfungskette von der Grünstromerzeugung über H2-Produktion und -Speicherung bis hin zur Anwendung abdeckt. Zudem nutzen auch die beteiligten Gebietskörperschaften der Region Wasserstoff, um ihren öffentlichen Nahverkehr CO2-neutral zu entwickeln.

Auftakt im Mai 2021

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Ziel des HyExperts-Projekts war es, eine Strategie zu entwickeln, wie die Region die verschiedenen Ansätze für einen erfolgreichen Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft nutzen kann. Da die Region ein Strukturwandelgebiet mit den Braunkohletagebauen Garzweiler, Hambach und Inden ist, kommt dem Erhalt und der Schaffung von Wertschöpfung ebenfalls große Bedeutung zu. Schon vor Projektbeginn wurde erkannt, dass eine regionale Koordination der Aktivitäten vorteilhaft ist. Daher wurde bereits im Mai 2021 die Initiative „Hydrogen Hub Aachen“ gegründet.

Im Rahmen dieser Initiative koordiniert ein Projektbüro, das bei der Industrie- und Handelskammer Aachen angesiedelt ist, die regionalen Wasserstoffaktivitäten der Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg sowie von Stadt und StädteRegion Aachen. Unterstützt wird es dabei durch die Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer (AGIT).

Der Blick auf eine zukünftige Wasserstoffversorgung macht deutlich, dass für einen erfolgreichen Markthochlauf in der Region AachenPLUS ein Zusammenspiel aus verschiedenen Versorgungspfaden notwendig ist. Die Region AachenPLUS bietet für eine Region im Binnenland gutes Potenzial für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Bereich Wind und Photovoltaik. Der Kreis Heinsberg beispielsweise erweitert aktuell sein eigenes Grünstromportfolio, um in naher Zukunft lokale Elektrolysekapazitäten zu schaffen. Ein erster Elektrolysestandort ist bereits in Heinsberg-Oberbruch auf den Weg gebracht worden. Weitere dezentrale Standorte sollen folgen.

H2-Pipelines als Lebensadern

Trotz dieses Potenzials bleibt die Region mit ihrer energieintensiven mittelständischen Industrie und dem Durchgangsverkehr auf den großen Autobahnen eine Wasserstoffsenke, die ihren H2-Bedarf nicht aus eigener Produktion decken kann. Darum muss die Region neben lokaler Produktion auch auf Importe von Wasserstoff setzen. Hier erweist sich die Grenzlage zu Belgien und den Niederlanden mit der Nähe zu den dortigen Häfen als Standortvorteil: Die Planungen des Wasserstoffkernnetzes sehen den Neubau einer H2-Pipeline vor, die vom Grenzübergangspunkt Eynatten (B) kommend die Region von West nach Ost quert. Seitens Thyssengas bestehen Planungen für die Umstellung der Leitung Weisweiler-Düren auf Wasserstoff ab 2027.

Neben diesem sehr wahrscheinlichen Anschluss an den geplanten H2-Backbone bietet der Delta-Rhein-Korridor eine weitere Option, die Region AachenPLUS mit Wasserstoff zu versorgen. Die bisherigen Planungen sehen zwar einen Bau dieser Pipeline nur bis Sittard (NL) vor, es wird jedoch Aufgabe der Region sein, sich für eine Weiterführung dieser Leitungsinfrastruktur stark zu machen. In diesem Zusammenhang wird es für die Region bedeutsam sein, sinnvolle Ausspeisepunkte für die Versorgung lokaler Verbraucher zu schaffen und grenzüberschreitende Aktivitäten auszubauen.

Zahlreiche Einzelvorhaben

Die Chancen, die sich durch den Anschluss an das Wasserstoffkernnetz bieten, dürfen jedoch nicht den Blick auf dezentrale und lokale Lösungen verhindern. Hierzu gibt es in der Region eine Vielzahl von Ansätzen: Am Brainergy Park Jülich wird ein Solarpark mit angeschlossener Elektrolyse zur Versorgung der zukünftigen Brennstoffzellenzüge der Rurtalbahn sowie der Brennstoffzellenbusse der Rurtalbus gebaut. In Hellenthal ist ein Elektrolyseprojekt zur Stromspeicherung geplant. In Mechernich entsteht ein Projekt zur Gewinnung von Wasserstoff aus Grünabfällen. In Aachen ist eine Elektrolyse zur Versorgung des öffentlichen Nahverkehrsbetreibers ASEAG geplant und in Herzogenrath plant die Firma Saint-Gobain den Aufbau von Elektrolysekapazitäten für die Energieversorgung der Glasproduktion.

Mit den Projekten „Speicherstadt“ und dem „Mobilitätshafen“ wird zudem in Kerpen an der Wasserstoffversorgung des ÖPNV gearbeitet. In Heinsberg entsteht mit dem Projekt H2HS ein komplettes Wasserstoffökosystem. Hier soll der Wasserstoff zur Versorgung von Gewerbe und Industrie, ÖPNV, Logistik und Schwerlastverkehr sowie für die Versorgung des Wohnsektors dienen. Des Weiteren ist geplant, die Abwärme des Elektrolyseurs in ein Nahwärmenetz einzuspeisen und den Sauerstoff in einer nahegelegenen Kläranlage zu nutzen.

Weitere Anwendungsbeispiele in der Region gibt es überraschenderweise im Wärmesektor. In Linnich wird Wasserstoff über ein Inselnetz zur Wärmeerzeugung eingesetzt und in Euskirchen als saisonaler Energiespeicher für ein Wohnquartier.

All diese Projekte bieten Lösungsmöglichkeiten, die einen wertvollen Beitrag zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft leisten. Hier können Business-Cases geschaffen und noch offene technische Fragestellungen geklärt werden. Zudem können wichtige Erfahrungen in Bezug auf Genehmigungsverfahren und rechtliche Rahmenbedingungen gesammelt werden. Darüber hinaus können aus diesen Projekten langfristige Lösungen für Wasserstoffsenken abseits der Backbones entwickelt werden.

Für die Weiterentwicklung der HyExperts-Region AachenPLUS wird es von entscheidender Bedeutung sein, die in diesen Projekten gewonnenen Erkenntnisse nutzbar zu machen. Dies soll dadurch geschehen, dass im Kontext des Hydrogen Hubs ein Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen den Projekten organisiert werden soll. Gleichzeitig gilt es, ein Matchmaking zwischen Erzeugern und potenziellen Abnehmern zu schaffen, um weitere Projekte zu initiieren und die Wirtschaftlichkeit geplanter Projekte sicherzustellen.

Ein weiteres Anwendungsfeld zeichnet sich in der Mobilität ab. Alle regionalen ÖPNV-Anbieter haben entweder bereits Brennstoffzellenbusse angeschafft oder planen eine Anschaffung. Im Kreis Düren wird zudem das Schienennetz der Rurtalbahn in Kürze mit Brennstoffzellenzügen betrieben. Die entsprechenden Förderbescheide wurden im Mai 2023 von Verkehrsminister Wissing übergeben. Weitere Informationen zu den Projekten des Kreis Düren finden Sie auf Seite 28.

Die im Rahmen des HyExperts-Projekts erstellte Studie hat ergeben, dass auch in der Logistik Flottenumstellungen auf Brennstoffzellenfahrzeuge zu erwarten sind. Um den Bedarf dieser Fahrzeuge zu decken, wird es notwendig sein, bis 2035 mindestens 13 H2-Tankstellen in der Region installiert zu haben. Es ist daher angedacht, die im HyExperts-Projekt etablierte Arbeitsgruppe aus ÖPNV und Logistik weiterzuführen, um diese Infrastruktur zielgerichtet und koordiniert zu planen.

Suche nach geeigneten Fachkräften

Ein wichtiges Feld für die Implementierung ist die Sicherung von Fachkräften zur Umsetzung sowie eine Inwertsetzung der Forschungs- und Entwicklungskompetenzen für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft vor Ort. Hierzu soll der über die Netzwerkaktivitäten des Hydrogen-meet&connect-Netzwerks initiierte Austausch zwischen mittelständischer Wirtschaft und Wissenschaft intensiviert werden. Damit eine flächendeckende Aus- und Weiterbildung sichergestellt ist, sollen Informationsformate an Schulen geschaffen werden. Darüber hinaus müssen neue spezialisierte Berufsbildungszentren und Berufsschullehrgänge, zum Beispiel für den sicheren Umgang mit Wasserstoff, H2-Heizungen, -Transport, Brennstoffzellen und H2-Mobilität initiiert werden. Da die Ausbildung neuer Fachkräfte den Personalbedarf allein nicht bedienen kann, sollen zusätzlich umfängliche Weiterbildungsmaßnahmen beispielsweise über die Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern koordiniert und angeboten werden.

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