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Beitrag von Sven Geitmann

4. Januar 2023

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Wann wird ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar sein?

Kurzfristige Knappheit

Selbst bei Wachstumsraten wie bei Photovoltaik und Windenergie bleibt die Elektrolysekapazität und damit auch das Angebot an grünem Wasserstoff noch ein bis zwei Jahrzehnte knapp. Dies gilt sowohl im Vergleich zu den kurz- und mittelfristigen Ausbauzielen als auch im Vergleich zur Größe des gesamten Energiesystems. Insbesondere das Ziel der EU, bis 2030 jährlich 10 Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoff herzustellen, was etwa 100 GW Elektrolysekapazität erfordert, ist unter diesen Wachstumsraten nicht erreichbar. Das Gleiche gilt für die laut IEA bis 2030 benötigten 720 GW globaler Elektrolysekapazität im ambitionierten NZE-Szenario (IEA, 2022b).

In Relation zum gesamten Energiesystem heißt das, dass, selbst wenn die Elektrolyse so schnell wächst wie Photovoltaik und Windenergie, grüner Wasserstoff in der EU bis 2030 und global bis 2035 wahrscheinlich nur weniger als ein Prozent der jeweiligen Endenergienachfrage decken kann.

Langfristige Unsicherheit

In der langfristigen Perspektive zeigt sich, dass ein Durchbruch zu großen Elektrolysekapazitäten möglich ist und immer wahrscheinlicher wird. Jedoch sind der Zeitpunkt und das Ausmaß dieses Durchbruchs mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.

Für den Fall von Wachstumsraten im Bereich von Photovoltaik und Windenergie findet der Durchbruch in der EU im Durchschnitt um das Jahr 2038, global erst um das Jahr 2045 statt. Angesichts der aktuell großen Euphorie rund um das Thema Wasserstoff mag dies erstaunen. Allerdings braucht es bei einem sehr kleinen Anfangswert schlicht eine lange Zeit, bis sich die hohen relativen Wachstumsraten auch in hohe absolute Kapazitäten übertragen.

Wachstum unter Notfallmaßnahmen

Unser Artikel beschreibt eine wertfreie Wenn-dann-Analyse unter der zentralen Annahme, dass die Elektrolysekapazität so schnell wächst wie Photovoltaik und Windenergie. Im Anhang des Artikels präsentieren wir eine Liste mit Pro- und Kontra-Argumenten zur Frage, ob die Elektrolyse schneller wachsen könnte als diese erfolgreichen Technologien.

Um zu untersuchen, was unter besonderen Umständen möglich wäre, stellen wir daher auch die Frage: „Was wäre, wenn die Elektrolyse so schnell wächst wie Technologien mit den historisch höchsten Wachstumsraten?“ Dafür betrachten wir die Wachstumsraten eines sehr heterogenen Datensatzes, von US-Militärproduktion über den Ausbau des chinesischen Hochgeschwindigkeitszugnetzes bis hin zur Marktdiffusion von Internethosts und Smartphones. Es zeigt sich, dass nur mit solch ungewöhnlich hohen Wachstumsraten das Wasserstoffziel der EU für 2030 in Reichweite bleibt und damit auch langfristig die Lücke zwischen möglichem Angebot und potenzieller Nachfrage nach Wasserstoff geschlossen werden kann.

Politische Implikationen

Derart hohe Wachstumsraten werden nur mit besonderer politischer Koordinierung, Regulierung und Finanzierung erreicht werden können. Entsprechende Politikmaßnahmen müssen die Wirtschaftlichkeit von privaten Wasserstoffinvestitionen absichern, beispielsweise durch öffentliche Ko-Finanzierung oder direkte Regulierung wie Quoten für grünen Wasserstoff. Darüber hinaus erfordert der gleichzeitige Markthochlauf von Angebot, Nachfrage und Infrastruktur erhebliche Koordinierung.

Mit den europäischen IPCEI-Wasserstoffprojekten, der geplanten EU Hydrogen Bank sowie dem US Inflation Reduction Act haben die zwei größten Volkswirtschaften der Welt kürzlich neuen Schwung in die Förderung von Wasserstoff gebracht. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob diese Maßnahmen ausreichen, um den Teufelskreis aus unsicherem Angebot, unzureichender Nachfrage und unvollständiger Infrastruktur zu durchbrechen.

Solange sowohl die Verfügbarkeit als auch die Kosten von grünem Wasserstoff unsicher sind, sollten sich politische Entscheidungsträgerinnen über das Risiko im Klaren sein, das Potenzial von Wasserstoff zu überschätzen. Falls das zukünftige Wasserstoffangebot die Erwartungen übersteigt, wird es unproblematisch sein, Anwendungen für diesen zu finden. Im umgekehrten Fall, falls das Wasserstoffangebot hinter den Erwartungen zurückbleibt, wird es jedoch für viele Anwendungen zu spät sein, um für die Klimaneutralität noch rechtzeitig zu Alternativen zu wechseln.

Es bleibt ein politischer Drahtseilakt: Einerseits muss der Markthochlauf von grünem Wasserstoff erheblich beschleunigt werden. Andererseits dürfen die damit einhergehenden Erwartungen nicht den notwendigen Markthochlauf von bereits verfügbaren und effizienteren Alternativen der direkten Elektrifizierung, wie Wärmepumpen und Elektroautos, ausbremsen.

Diese Studie des PIK wurde schon im Februar 2022 auf der H2-Kompass-Konferenz in Berlin präsentiert, worüber auch bereits im HZwei-April-Heft 2022 berichtet wurde. Da die dargelegten Erkenntnisse in den Medien teils zu übertriebenen Schlagzeilen geführt haben, werden hier die Kernelemente nochmals etwas ausführlicher dargelegt.

Literatur:

IEA. (2022a). Hydrogen Projects Database. https://www.iea.org/data-and-statistics/data-product/hydrogen-projects-database

IEA. (2022b). World Energy Outlook 2022. https://www.iea.org/reports/world-energy-outlook-2022

IRENA. (2020). Green hydrogen cost reduction: Scaling up electrolysers to meet the 1.5°C climate goal. International Renewable Energy Agency. https://www.irena.org/publications/2020/Dec/Green-hydrogen-cost-reduction

Odenweller, A., Ueckerdt, F., Nemet, G. F., Jensterle, M., & Luderer, G. (2022). Probabilistic feasibility space of scaling up green hydrogen supply. Nature Energy, 7(9), Art. 9. https://doi.org/10.1038/s41560-022-01097-4

Schulte, S., Sprenger, T., & Schlund, D. (2021). Perspektiven auf den Wasserstoffmarkthochlauf: Stakeholderanalyse mit Fokus Deutschland (EWI Policy Brief).

Autoren:
Adrian Odenweller
adrian.odenweller@pik-potsdam.de
Dr. Falko Ueckerdt
falko.ueckerdt@pik-potsdam.de
beide vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Kategorien: Allgemein
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1 Kommentar

  1. Roland Mäusl

    Danke für die realistische Betrachtung des Hype-Themas in der Politik.
    Die wesentliche Frage ist auch: wie viel Strom aus EE können sich Stromerzeuger-/Versorger und die Politik zusätzlich leisten, um ihn für die Elektrolyse zu nutzen und nicht mit deutlich besserer Energieeffizienz direkt in die Stromnetze einzuspeisen! Geographische und klimatische Fragen sowie der prognostizierte, stark steigende Strombedarf der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität müssen in den einzelnen Länderregierungen deutlich differenzierter betrachtet werden, um wirklich intelligente Maßnahmen zu setzen. Grüner Wasserstoff wird zunächst eine wertvolle (und damit teure) Ressource bleiben, die gezielt eingesetzt werden sollte (stofflicher Einsatz in verschiedenen Industrieanwendungen wie der Stahlerzeugung, in Raffinerieprozessen, in der Grundstoffchemie oder energetisch zur Prozesswärmeerzeugung in verschiedenen Industrieanwendungen wie der Papier- oder Glasindustrie, um CO2-neutral zu produzieren)! Und die Politik muss sich künftig besser unabhängig informieren und beraten lassen, bevor sie für ihren persönlichen Schaulauf weiter im Aktionismus die H2-Welle als Allheilmittel für unsere Klima- und Energieprobleme reitet – statt der Enabler für eine vorausschauende klimaneutrale Zukunft zu sein…

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