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Beitrag von Sven Geitmann

7. September 2017

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Mit Brennstoffzelle Zug fahren

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iLint, © Alstom


Der elektrifizierte Schienenverkehr rückt im Rahmen der Verkehrswende immer mehr in den Blickpunkt energiepolitischer Betrachtungen. Während der Hannover Messe war insbesondere der neue Brennstoffzellenzug von Alstom, der Mitte März 2017 seine erste Testfahrt absolviert hat, ein zentrales Thema. Innerhalb von drei Jahren hat der französische Eisenbahnbauer ein funktionierendes H2-Antriebssystem auf die Schienen gestellt, das ab 2018 im Fahrgastbetrieb eingesetzt werden soll.
Der Fokus im Brennstoffzellensektor verschiebt sich derzeit langsam, aber sicher weg vom Personenverkehr hin in Richtung Schienen- und Lastverkehr. Während europäische Automobilbauer beim Thema Brennstoffzelle weiter auf Zeit spielen, scheint sich anderswo mittlerweile herumgesprochen zu haben, dass Wasserstoff für schwerere Fahrzeuge (z. B. Busse, Lkw, Züge) gut geeignet ist, weil damit – anders als mit Akkumulatoren – auch längere Fahrstrecken zurückgelegt werden können. Wasserstoffbetriebene Züge und Brennstoffzellen-Trucks könnten somit in nächster Zeit an H2-Autos vorbeiziehen.
Voll im Zeitplan
Bis jetzt läuft alles wie geplant: Die Unterzeichnung der Absichtserklärung zwischen Alstom Transport und dem Technologielieferanten Hydrogenics erfolgte am 27. Mai 2015 (s. Alstom und Ballard drängen auf die Schiene). Darin war die Rede von einer zunächst zehnjährigen Kooperation, einem Auftragsvolumen in Höhe von 50 Mio. Euro und mindestens 200 Antriebssystemen basierend auf der HD-Serie des kanadischen Brennstoffzellenherstellers. Das erste BZ-System wurde 2016 an Alstom ausgeliefert und erstmals in dem Coradia-iLint-Prototyp auf der InnoTrans 2016 präsentiert. Die Probefahrt in diesem März war dann nach Angaben von Alstom die erste Fahrt eines brennstoffzellenbetriebenen Niederflur-Personenzugs bei 80 km/h. Allerdings fand sie zunächst noch auf werkseigenen Schienen in Salzgitter statt. Weitere Versuche bei Geschwindigkeiten bis zu 140 km/h werden noch dieses Jahr in Velim, Tschechien, durchgeführt. Wenn alles klappt, folgt der Alltagstest 2018 auf der Strecke Buxtehude – Bremervörde – Bremerhaven – Cuxhaven (s. HZwei-Heft Okt. 2016), gerade einmal drei Jahre nach Vertragsunterzeichnung.
Innovative Technik
Bei dem Zug, der im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie mit rund 8 Mio. Euro gefördert wird, handelt es sich um ein umgebautes Dieselmodell der Coradia-Lint-Familie von Alstom. In die beiden Waggons, die Platz für insgesamt 300 Passagiere (150 Sitzplätze) bieten, wurde ein komplett neues intelligentes Energiemanagement eingebaut, das Strom für alle Komponenten liefert, egal wo im Zug diese sich befinden und wann er benötigt wird.
Die Energiespeicherung erfolgt in Wasserstofftanks der Firma Xperion, die von Wystrach auf dem Fahrzeugdach installiert wurden. Dort befindet sich auch das Brennstoffzellensystem von Hydrogenics. Die Lithium-Ionen-Akkumulatoren sitzen zwischen den Rädern, so dass auch Bewegungsenergie beim Bremsvorgang zurückgewonnen werden kann.
Durch den rein elektrischen Betrieb ist ein niedriger Geräuschpegel gewährleistet, ansonsten ist diese Wasserstoffversion vergleichbar mit klassischen Regionalzügen – nur eben umweltverträglich und ganz ohne Oberleitung. Die mögliche Reichweite beläuft sich auf 800 km pro Tag bei einer Maximalgeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern. Entwickelt wurde diese Technologie, die bereits statisch vom TÜV abgenommen wurde, bei Alstom in Salzgitter sowie in Tarbes, Frankreich. Bis Ende 2017 soll auch die Zulassung des Eisenbahnbundesamtes vorliegen.
Niedersachsen steht voll dahinter
Auf dem Public Forum des H2– und BZ-Gemeinschaftsstandes gab es extra eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema: Dr. Jens Sprotte, Leiter Geschäftsbereich Urban & Systems bei Alstom Transport Deutschland, verkündete dort freudig: „Ein emissionsfreier Schienenpersonennahverkehr ist erreichbar – ab Ende dieses Jahres.“
Der niedersächsische Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Olaf Lies, der sichtlich stolz war, dass diese Züge nicht nur in Niedersachsen fahren, sondern auch dort in Salzgitter gebaut werden, ergänzte: „Wir reden hier von wirklich signifikanten Stückzahlen. […] Die Kollegen der anderen Bundesländer sind ruckzuck auf diesen Zug mit aufgesprungen. […] Dann haben wir ein echtes, großes Roll-out in den nächsten Jahren und damit auch die Chance, eine Technologie, die in diesem Maße in Deutschland eingesetzt wird, auch international zu vermarkten.“ Seitens des Herstellers von Schienenfahrzeugen hieß es passend dazu: „Alstom hat bereits Absichtserklärungen für 60 Züge mit den Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und dem hessischen Aufgabenträger Rhein-Main-Verkehrsverbund unterzeichnet.“
Sprotte betonte zudem, dass es Alstom wichtig gewesen sei, nicht dorthin zu kommen, wo die Automobilindustrie derzeit ist, und meinte damit die Henne-Ei-Problematik bei der Wasserstoffversorgung. „Wenn wir dieses Thema nach vorne bringen wollen, müssen wir das Komplettpaket an den Markt bringen. Wir werden uns die passenden Partner suchen, die uns den Wasserstoff bereitstellen“, sagte er. Alstom kümmert sich deswegen sowohl um den Zug, dessen Instandhaltung als auch um die H2-Infrastruktur. Auf diese Weise soll es, so Sprotte, „perspektivisch möglich sein, dass wir günstiger fahren als im Dieselbetrieb“. Und weiter: „Im Schwerlastverkehr oder im Schienenpersonennahverkehr ist die Brennstoffzelle unschlagbar.“
Erst grauer, dann grüner Wasserstoff
Der Wasserstoff, der dafür benötigt wird, soll anfangs zu siebzig Prozent aus der chemischen Industrie kommen. Ergänzend zu diesem Beiprodukt-Wasserstoff, so genanntem „grauen Wasserstoff“, soll später aber per Elektrolyse erzeugtes Gas, also „grüner Wasserstoff“, zum Einsatz kommen. Der Alstom-Projektleiter gab jedoch zu bedenken: „Das große Thema ist der Strompreis: Sowie ich die Erneuerbare-Energien-Umlage dazurechnen muss, habe ich acht bis zehn Cent mehr. Wir hoffen, dass sich in den nächsten Jahren die politischen Rahmenbedingungen so verändern, dass wir dort Elektrolyse großflächig einsetzen können.“ NOW-Chef Dr. Klaus Bonhoff konnte darauf lediglich antworten, dass darüber derzeit „intensiv diskutiert“ werde und dass es bereits viele Personen gebe, „die erkennen, dass darin eine Chance liegt“.
Minister Lies griff diesen Punkt sofort auf und stellte fest: „Wir müssen mit Nachdruck die dezentrale H2-Versorgung aufbauen – egal ob für Pkw, Lkw, Bus oder Zug. Wir brauchen dafür den weiteren Ausbau der Elektrolyse.“

In einigen Bundesländern gibt es derzeit für emissionsfreien Schienenpersonennahverkehr technologieoffene Ausschreibungen, bei denen sich Alstom beispielsweise mit den batteriebetriebenen Konkurrenten messen lassen muss. GP Joule beteiligt sich laut Geschäftsführer Ove Petersen aktuell zum Beispiel in Schleswig-Holstein an solch einer Ausschreibung, bei der Bahnstrecken, die heute noch mit Dieseltriebwagen bedient werden, künftig mit Brennstoffzellentechnik betrieben werden könnten. Allein für dieses Vorhaben sei eine Elektrolyseleistung von 20 MW erforderlich, so Petersen.
Kategorien: Allgemein

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