Hzwei Blogbeitrag

Beitrag von Sven Geitmann

14. Juni 2016

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Ernüchternde Bilanz eines F-Cell Early-Adopters

F-cell-Wenger

Stand teils wochenlang ungenutzt am Straßenrand


Elektromobilität muss am eigenen Leibe „erfahren“ werden. Dies gilt sowohl für Batterie- als auch für Brennstoffzellenautos. Rein batteriebetriebene Fahrzeuge gibt es mittlerweile einige auf bundesdeutschen Straßen – zumindest in überschaubarer Größenordnung. Aber wie können derzeit eigene Erfahrungen im Umgang mit brennstoffzellenbetriebenen Fahrzeugen gesammelt werden? Für den Normalbürger bleibt hier lediglich der Versuch, während einer Fachmesse eine kurze Proberunde absolvieren zu dürfen. Dr. David Wenger vom Automobilzulieferer Wenger Engineering bekam die Gelegenheit, zwei Jahre lang ein BZ-Auto leasen und erproben zu können. Über seine Erfahrungen sprach er mit HZwei.
Mit Wasserstoffautos wurde schon viel unternommen: Sie wurden zu Höchstgeschwindigkeits-Weltrekorden angetrieben, sie wurden auf eine Fahrt über 30.000 Kilometer einmal um den Erdball geschickt, sie wurden auch in zahlreichen Demonstrationsprojekten im Alltag erprobt. Aber stets saßen entweder die firmeneigenen Ingenieure gleich mit im Auto oder sie standen zumindest abrufbereit im Hintergrund, um im Bedarfsfall sogleich das Lenkrad beziehungsweise das Kommando übernehmen zu können. Als „Kunden“ kamen zudem bislang nur – zeitlich befristet – Schauspieler oder Politiker in den Genuss, jeweils das neuste BZ-Modell testen zu können; ebenfalls stets mit dem erforderlichen technischen Support im Background.
David Wenger ist einer der ersten „regulären“ Kunden in Deutschland, der ein Brennstoffzellenfahrzeug least, also gegen Geld für zwei Jahre mietet und im Alltag erprobt, anstatt es nur kurzfristig im Rahmen eines geförderten Demonstrationsvorhabens zu testen. In einem ausführlichen Gespräch berichtete der Chef des 19 Mitarbeiter beschäftigenden Kleinunternehmens über seine Erfahrungen:
Zwischenbilanz nach 1,5 Jahren
David Wenger wechselte vor rund 18 Monaten von seiner acht Jahre lang genutzten Mercedes Benz C-Klasse zur F-Cell B-Klasse von Daimler und stellt das Brennstoffzellenmodell auch all seinen Mitarbeitern zur Verfügung. Seine Zwischenbilanz hinsichtlich der Funktionalität fällt zunächst durchaus positiv aus: „Das Auto läuft wie erwartet. Es startet, wenn ich den Schlüssel drehe, – immer – und es fährt mich von A nach B. Die Performance ist okay, aber auch nicht mehr als das. Es ist schließlich kein Sportwagen. Wirklich hervorhebenswert ist das Kaltstartverhalten: Es ist wirklich unglaublich, wie zuverlässig das funktioniert – sogar bei widrigsten Bedingungen, bei mehreren Kaltstarts an einem Tag, bei Kurzstreckenfahrten, bei -10 °C und 30 cm Neuschnee.“
Weiter erklärt Wenger: „Ich war anfangs froh und stolz, ein Brennstoffzellenauto zu besitzen, denn wir gehören zu den circa 100 ersten richtigen Kunden eines solchen Zukunftsautos weltweit – man kann sogar sagen: In der Geschichte der Menschheit.“ Dennoch ist er vom Gesamtpaket wenig begeistert: „Summa summarum ist die Bilanz aber ernüchternd, leider, und das tut mir auch sehr in der Seele weh.“
Wie kann das kommen? Zerbrochene Träume trotz funktionierender Technik und offensichtlicher Brennstoffzellenbegeisterung?
Ursachenforschung
Wenger Engineering arbeitete als Automobilzulieferer selber am Antriebsstrang des F-Cell mit. Dementsprechend verkündet der Firmeninhaber: „Alles, was in dem Auto mit Wasserstoff zu tun hat, ist top.“ Auch die Zuverlässigkeit und das Fahrverhalten sind einwandfrei: „Das Auto fährt wie ‘ne Eisenbahn. Aber die Wahrheit ist: Es steht seit sechs Wochen rum.“ (Zitat vom Okt. 2015)
Ein wesentlicher Grund für das Desinteresse seiner Mitarbeiter dürfte sein, dass die Ulmer parallel zu dem H2-Auto auch einen Audi g-tron, der mit grünem Erdgas fährt, erproben, so dass die Mitarbeiter stets frei wählen können, mit welchem Auto aus dem Fuhrpark sie lieber fahren möchten. Diese Freiheit hat zur Folge, dass das BZ-Modell zuletzt (Anfang 2016) über drei Monate nicht bewegt wurde. Die Kollegen fahren stattdessen lieber Dieselwagen oder eben das Erdgasauto.
Natürlich wollte Wenger selber gerne wissen, warum das als so innovativ angepriesene BZ-Fahrzeug von seinen Leuten nicht angenommen wird. Die Antworten seines Teams waren teils überraschend, aber doch nachvollziehbar:
– „Man benötigt zusätzliche 30 Minuten, um zur nächsten H2-Station zu gelangen.“
– „Ich muss jedes Mal tanken, wenn ich es benutze.“
– „Wenn ich nach Frankfurt fahre, muss ich zweimal tanken. Mit unserem Diesel muss ich gar nicht nachfüllen.“
– „Mitunter funktioniert die Station nicht.“ (Nachfrage: „Auf der Karte steht aber, die Tankstelle sei funktionstüchtig, oder?“ Antwort: „Ja, aber wenn man dort ist, kann es schon wieder anders sein, erinnere dich ans letzte Mal.“)
– „Ich war spät dran und hatte keine Zeit für solche Experimente.“
– „Die Bluetooth-Verbindung mit meinem Smartphone funktioniert nicht richtig.“
– „Ich bin sehr groß und die Sitze sind unbequem.“
– „Das andere Auto hat ein besseres Entertainment-System.“
Wenger selbst stößt ins gleiche Horn: „Ich weiß, das ist kleinkariert, aber die Freisprecheinrichtung funktioniert nicht richtig. Ist zwar verständlich, schließlich ist dieses Modell schon rund sieben Jahre alt, aber es nervt trotzdem.“ Ihm ist dabei sehr wohl bewusst, dass es nicht ganz fair ist, die seit über hundert Jahren kontinuierlich optimierten verbrennungsmotorisch betriebenen Autos mit noch nicht auf dem Markt erhältlicher Technologie zu vergleichen. Der Unternehmer gibt aber trotzdem zu bedenken: „Der Mensch kauft ein Auto und nicht einen Antriebsstrang. Das Gesamtkonzept muss eben stimmen. So können mitunter Massagesitze wichtiger sein als Wasserstoff.“
Verbesserungspotential vorhanden
Über die Kraftstoffversorgung berichtet Wenger: „Meistens funktionieren die H2-Tankstellen. Wenn nicht, dann liegt es in der Regel an dummen Fehlern wie falscher Bedienung des vorherigen Nutzers, zu geringer Kapazität der Tankstelle, Kommunikationsproblemen zwischen Shop und Zapfsäule, Karten-Lese-Fehlern oder Reparaturarbeiten, obwohl angezeigt worden war, die Station sei betriebsbereit.“ Trotzdem fährt er gerne zum Tanken: „Der Betankungsbeleg vermittelt mir stets den Eindruck, speziell und anders zu sein als die Menge der normalen Fahrer, die immer noch im 20. Jahrhundert feststecken.“
„Gewöhnen Sie sich daran, mit dem Symbol ‚geringe verbleibende Reichweite‘ zu fahren, oder vergessen Sie den Kauf eines F-Cell.“ Ratschlag von D. Wenger
Bei der Bewertung der Betankungs- und Abrechnungslösungen kamen diejenigen Applikationen gut weg, die direkt an der Zapfsäule alle notwendigen Informationen und Bezahlsysteme bereitstellten. Als ungeeignet bewertet Wenger all die anderen Varianten, bei denen mitunter vor der Betankung zunächst von irgendwoher Schlüssel abgeholt werden müssen oder bei denen das Kartenlesegerät weit entfernt an schlecht auffindbarer Stelle platziert ist. Nicht akzeptabel seien auch defekte Kartenlesegeräte oder die Angabe von Telefonnummern, die vor einer Betankung angerufen werden müssen. (Typisches Telefonat: „Ich weiß nicht, ob die Station betriebsbereit ist, aber Sie können ja einfach mal vorbeifahren und nachschauen. Nein, verantwortlich bin ich nicht. Wer hat Ihnen das denn erzählt?“)
Noch nicht optimal ist auch die Bedienbarkeit und Nutzerfreundlichkeit der interaktiven Deutschlandkarte, auf der alle existierenden Wasserstofftankstellen inklusive ihrer Verfügbarkeit eingetragen sind. Hier hatte Wenger bereits 2015 angemerkt, dass diese Karte auf der Homepage der Clean Energy Partnership ohne Hilfe kaum zu finden und außerdem mit einem Smartphone nur schwer zu bedienen sei (s. Not-Aus-Kasten), woraufhin die CEP eine Überarbeitung zusagte.
Not-Aus
„Als wir eines Tages am Vormittag einen Geschäftstermin 300 km entfernt hatten, wollten wir uns um 5:45 Uhr morgens im Büro treffen. Um 5:00 Uhr erhielt ich eine Textnachricht von meinem Mitarbeiter: ‚Entschuldige, ich komme später. Die Station funktioniert nicht. Ich muss zu der anderen fahren.‘ Ich kontrollierte die H2-Tankstellen-Karte: grün (funktionsbereit). Was war los? Später erfuhr ich, dass jemand irrtümlich den Not-Aus-Schalter anstelle des normalen Aus-Knopfes gedrückt hatte. Außerdem erfuhr ich, dass sich der Betriebszustand durch die Nutzung des Not-Aus-Schalters nicht ändert, obwohl die Zapfsäule ja nicht mehr genutzt werden kann.“
Probleme macht natürlich auch das dünne Tankstellennetz, obwohl im Ulmer Raum durchaus einige Wahlmöglichkeiten bestehen: Eine Betankungsstation steht für die B-Klasse in Nabern auf dem Daimler-Werksgelände zur Verfügung, drei H2-Tankstellen gibt es im Stuttgarter Einzugsgebiet, und eigentlich sollte auch Ulm selbst im Herbst 2015 eine Station erhalten. Bis zur tatsächlichen Fertigstellung könnte es allerdings noch Sommer 2016 werden.
Hinzu kommt, dass „einige Tankstellen nur zu 90 bis 95 Prozent füllen“, so dass die effektive Reichweite nicht annähernd wie angegeben 400 km beträgt. Dr. Wenger rechnet vor, dass er mit seinem Team bei unterschiedlichen Fahrprofilen auf den bislang über 9.000 zurückgelegten Kilometern nur auf eine nutzbare durchschnittliche Reichweite von 250 km kam. Somit kalkuliert er stets unvorhersehbare Probleme mit ein. („Wenn irgendetwas an der Tankstelle schiefgeht, dann stehe ich da.“)
Seinen Durchschnittsverbrauch gibt der Süddeutsche mit 1,18 kgH2 pro 100 km an, wobei sein Azubi etwas sparsamer, ein anderer Kollege auf der linken Spur aber sehr viel energieintensiver fährt. Besonders zu Buche schlagen zudem die vielen Gefrierstarts in der kalten Jahreszeit.
Bei einem Kraftstoffpreis von 9,50 Euro pro Kilogramm kommt das Wenger-Auto bislang auf Spritkosten in Höhe von 10 bis 11 Euro pro 100 km. Verglichen mit dem Dieselauto (6,5 l auf 100 km) und den aktuell sehr niedrigen Spritpreisen ist das fast das Doppelte, bemängelt Wenger: „Allein aus finanzieller Sicht ist es ein absolutes Fiasko.“
Früh oder zu früh?
Beim Thema Elektromobilität stellt Wenger etwas verbittert fest: „Es will keiner so richtig. Die Leute an der Basis sind arme Schweine: Die geben Vollgas, aber die Konzernführung signalisiert, dass es eher übermorgen als morgen was wird. Das ist sehr zäh.“ Leicht geknickt stellt er dann die Frage in den Raum: „Wenn diese Autos derzeit keiner haben will, dann ist doch die Frage, ob man sie überhaupt braucht.“
Ziel verfehlt
Das ursprüngliche Ziel von David Wenger, im Jahr 20.000 Kilometer mit einem BZ-Auto zurückzulegen, hat er „aufgrund der niedrigen Tankstellendichte, der nicht immer gewährleisteten Verfügbarkeit und der geringen Reichweite“ nicht erreicht. Dafür gab es bislang keinerlei Probleme mit Wasserstoff- oder Brennstoffzellenkomponenten und auch keine Sicherheitsprobleme. Ersetzen kann der BZ-Daimler aber seinen Firmenwagen nicht. Der F-Cell dient vielmehr als zusätzliches Fahrzeug und verursacht somit zusätzliche Kosten. Ziemlich desillusioniert konstatiert Wenger dementsprechend: „Wenn ich nach eineinhalb Jahren noch nicht den Grund dafür gefunden habe, solch ein Auto zu kaufen, dann muss ich sagen: Ich bin wohl der Too-Early-Adopter.“
Die Hoffnung hat er aber trotzdem noch nicht aufgegeben: Wengers Appell lautet daher, dass sich alle an BZ-Autos beteiligten Player bemühen sollten, sehr viel stärker auf die Kundenbedürfnisse einzugehen, denn letztlich entscheidet allein der Kunde, ob er solch ein Fahrzeug kaufen oder nicht kaufen möchte: „Bitte ändert euren Fokus: Forschung ist vorbei! Löst jetzt die benannten Punkte, die maßgeblichen Einfluss auf die Nutzerzufriedenheit haben (s. defekte Kartenlesegeräte). Es gibt Kunden da draußen, die dafür, was ihr entwickelt habt, Geld zahlen!“
David Wenger weiß selber nur zu gut, dass all seine Kritik wie Nörgelei auf äußerst hohem Niveau wirkt, aber letztlich – so gibt er zu bedenken – gilt doch die Devise: Der Kunde ist König und hat immer Recht. Ihm ist selber völlig bewusst, dass die eine Technologie seit 120 Jahren optimiert wird, während die andere noch nicht einmal richtig auf dem Markt ist, weshalb jeglicher Vergleich hinkt. Aber schlussendlich, so Wenger, sind derlei Überlegungen für den Kunden irrelevant, denn der Kunde verlangt schlichtweg adäquate Leistung für angemessenes Geld.
Konstruktive Kritik
Dr. David Wenger ist Geschäftsführer der Wenger Engineering GmbH. Er ist ein Mann der offenen Worte, obwohl er weiß, dass er dadurch den einen oder anderen vor den Kopf stößt: „Auf der World of Energy Solutions 2015 in Stuttgart hatte ich die Gelegenheit, einen Vortrag über meine Erfahrungen als zahlender (!) Kunde zu halten. Und ich habe der H2-Community ein ehrliches Feedback gegeben, was noch zu tun ist. Die Resonanz war gigantisch. Im Positiven wie im Negativen. Ich habe den Vortrag danach an einige Leute verschickt. Der Erste, der geantwortet hat, war der Leiter der Wasserstoffentwicklung von Toyota, Katsuhiko Hirose (der ‚Vater des Prius‘). Ihm hat meine offene, aber konstruktiv-kritische Art sehr gut gefallen. Er ist auch ein großer Visionär und weiß, dass der Weg von einem Prototyp zu einem Mainstream-Produkt weit ist.
Es gab aber auch kritische Stimmen, die mich dafür kritisiert haben, dass ich nicht alles pauschal super finde. Damit kann ich leben. Denn wer mich kennt, der weiß: Ich glaube an erneuerbare Energien – ich glaube an saubere Kraftstoffe.“

2 Kommentare

  1. Otto Willemsen

    Guter Bericht. Vergleich mit einem Elektroauto fehlt aber noch. 1 KG H2 produzieren kostet 50 kWSt Strom, und die Speicherung von H2 unter hochdruck kostet auch energie…. Ein Tesla fährt 20-25 kWSt pro 100 Kilometer. Ein VW E UP 12,5 kWSt wenn man bis 80 kmh fährt oder 20 wenn man 130 kmh fährt…
    also H2 braucht minimal ein faktor 2 mehr strom. Weil saubere Wasserstof kann man nur über die Erneuerbare Energie erzielen

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