Norwegen verdoppelt Zahl der H2-Projekte

Norwegen verdoppelt Zahl der H2-Projekte

Zögerliche Politiker bremsen den erwarteten Aufschwung

Die Aktivitäten in der norwegischen Wasserstoffindustrie haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt. Auch bei der Zusammenarbeit mit Deutschland wurden große Fortschritte erzielt, so dass Wasserstoff ab 2030 in großem Maßstab exportiert werden kann. Damit allerdings die Unternehmen von der Projektplanung zur Investitionsentscheidung gelangen können, ist eine Risikoentlastung in Form von Differenzverträgen erforderlich.

Im Oktober 2021 kündigte die von der Arbeiterpartei und der Zentrumspartei geführte norwegische Minderheitsregierung in ihrem Regierungsprogramm an, dass sie zum Aufbau einer kohärenten H2-Wertschöpfungskette beitragen wird, so dass Produktion, Vertrieb und Nutzung parallel entwickelt werden können. Sie kündigte auch an, dass sie ein Ziel für die jährliche Produktion von erneuerbarem und kohlenstoffarmem Wasserstoff bis 2030 festlegen und die Gründung eines staatlichen Wasserstoffunternehmens in Erwägung ziehen wird.

Wasserstoff ist ein wesentlicher Bestandteil des Fahrplans der Regierung für einen industriellen Aufschwung auf dem norwegischen Festland. Der Erdöl- und Energieminister Terje Aasland hat bereits mehrfach erklärt, dass die Regierung vorhabe, bis 2030 genügend Wasserstoff im eigenen Land zu produzieren, um den eigenen Bedarf zu decken. Die Regierung hat jedoch noch nicht bekannt gegeben, mit welcher Nachfrage sie rechnet und wie sie diese erreichen will.

Obwohl die Industrie auf einen klaren Weg und ehrgeizige Ziele seitens der Politiker wartet, wurde bereits viel in Bewegung gesetzt. Die norwegische Wasserstoffstrategie 2020 unterstreicht, dass die norwegische Industrie gut positioniert ist, um eine führende Rolle in der H2-Wirtschaft zu übernehmen, und konzentriert ihre Bemühungen auf Bereiche mit besonderem Potenzial für industrielles Wachstum und Wertschöpfung, wie die Produktion von sauberem Wasserstoff und die Abnahme im maritimen Sektor und in der Schwerindustrie.

Die Strategie wurde durch einen H2-Fahrplan für 2021 ergänzt, der vorsieht, dass bis 2025 fünf H2-Drehkreuze für den Seeverkehr, ein oder zwei große Industrieprojekte mit Produktionsanlagen für Wasserstoff sowie fünf bis zehn Pilotprojekte für die Entwicklung kosteneffizienter Wasserstofflösungen und -technologien eingerichtet werden.

Die staatliche norwegische Agentur Enova leistete im Dezember 2021 Unterstützung für drei große Industrieprojekte – unter der Leitung von Yara International, Tizir Titanium & Iron und Horisont Energi – und unterstützte im Juni 2022 weitere fünf H2-Hubs entlang der norwegischen Küste sowie sieben Wasserstoff- und Ammoniakschiffe. Außerdem hat die Regierung Finanzmittel für zwei Forschungszentren für Wasserstoff und Ammoniak bereitgestellt.

Von 50 auf 126 Projekte in zwei Jahren

Das norwegische Wasserstoffforum hat vor kurzem ein Screening der norwegischen Wasserstofflandschaft durchgeführt und dabei festgestellt, dass sich die Zahl der Projekte und Aktivitäten seit unserem letzten Screening mehr als verdoppelt hat – von etwa 50 Projekten im Jahr 2021 auf 126 im April 2023. Wir fanden 51 Pläne zur Herstellung von Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten, die bis 2030 eine Produktionskapazität von insgesamt fast 9,5 GW vorsehen. Obwohl es sich bei 47 dieser Projekte um erneuerbare Wasserstoffprojekte handelt, dürften fast 60 Prozent der geplanten Produktionskapazität im Jahr 2030 kohlenstoffarm sein (s. Abb. 2). Während die meisten Projekte für erneuerbaren Wasserstoff für den Inlandsverbrauch geplant sind, sind drei der vier Projekte für kohlenstoffarmen Wasserstoff exportorientiert.

Mit einer Abscheidungsrate von rund 95 Prozent wird die Nutzung der riesigen norwegischen Erdgasressourcen und die Speicherung des abgeschiedenen CO2 unter dem Meeresboden zur Herstellung von Wasserstoff mit extrem niedrigen Emissionen von Politikern und Industrie gleichermaßen als der klügste Weg angesehen. Auf diese Weise kann der Wasserstoffmarkt schnell angekurbelt, die erforderliche Infrastruktur aufgebaut und damit der Weg für die riesigen Mengen an erneuerbarem Wasserstoff geebnet werden. Ab den späten 2030er Jahren können große Mengen grünen Wasserstoffs produziert werden, wenn die Offshore-Windenergieproduktion auf dem norwegischen Festlandsockel an Fahrt gewinnt.

Um dies zu ermöglichen, unterstützt die norwegische Regierung den Aufbau einer umfassenden Wertschöpfungskette für Kohlenstoffabscheidung, -transport und -speicherung in der Nordsee. Derzeit läuft das Longship-Projekt, bei dem 400.000 Tonnen CO2 aus dem Werk von HeidelbergCement in Brevik durch das Northern Lights Joint Venture dauerhaft unter dem Meeresboden gelagert werden sollen. Die norwegische Regierung hat außerdem mehrere Genehmigungsrunden für weitere CO2-Speicherstätten durchgeführt, und die Offshore-Industrie plant derzeit, bis zum Jahr 2030 eine jährliche CO2-Speicherkapazität von bis zu 50 Millionen Tonnen aufzubauen.

Zu den Projekten gehören auch mehrere Produktionsanlagen für Wasserstofftechnologie, von denen das bekannteste die kürzlich von Nel Hydrogen auf Herøya eröffnete, weltgrößte automatisierte Fabrik ist. Sowohl Hystar als auch HydrogenPro haben ebenfalls ehrgeizige Pläne für die Herstellung von Elektrolyseuren. Norwegen ist somit besonders gut positioniert, um einen großen Teil der 100 GW Elektrolyseur-Herstellungskapazität beizusteuern, die in der EU benötigt wird, um das Ziel von 10 Millionen Tonnen erneuerbarer Energie zu erreichen.

Darüber hinaus gibt es derzeit mehrere Pläne, die Brennstoffzellenherstellung in Norwegen auszubauen. So baut TECO 2030 in Narvik die erste Giga-Produktionsanlage Europas für Wasserstoff-PEM-Brennstoffzellenstapel und -module auf und strebt eine Produktionskapazität von 1,6 GW im Jahr 2030 an. Am 15. Mai wurde der erste Stack produziert. Diese und andere Unternehmen könnten ihre Produktionskapazitäten in Norwegen stark ausbauen und vervielfachen.

Ortsansässige Firmen schultern Aufbau der H2-Wirtschaft

Die Akteure, die am Aufbau der norwegischen Wasserstoffindustrie beteiligt sind, kommen zum Teil aus der starken historischen Forschungs- und Industriegemeinschaft des Landes im Bereich Wasserstoff und Wasserstofftechnologie. Norwegen produzierte sein erstes Ammoniak aus Wasserkraft und Wasser am Hydro-Standort Rjukan bereits 1929. Aber auch die starke Industrie für erneuerbare Energien, die maritime Industrie und die Offshore-Öl- und Gasindustrie tragen ihren Anteil bei.

Norwegen verfügt nicht nur über beträchtliche Kompetenzen in den Bereichen Elektrolyseure, Brennstoffzellen, Speichertanks und Wasserstofftankstellen, sondern ist auch führend bei der Entwicklung neuer Lösungen in Bereichen wie Kohlenstoffabscheidung, Kompressoren, Bunkerlösungen für maritime Anwendungen, Wasserstoff- und Ammoniakschiffen und innovativen Konzepten für die Offshore-Wasserstoffproduktion. Die bedeutenden Zulieferer des Landes in der Öl- und Gasindustrie können ihre Kompetenz weiter nutzen, um erneuerbare und kohlenstoffarme Ausrüstungen und Geräte für die Wasserstoffwirtschaft zu entwickeln.

Öffentlich-private Zusammenarbeit

Obwohl es eine politische Einigung darüber gibt, dass der CO2-Preis von 952 NOK im Jahr 2023 auf 2.000 NOK im Jahr 2030 steigen soll, besteht weiterhin das Problem, dass fossile Brennstoffe billiger sind als wasserstoffbasierte Brennstoffe. Um von der Projektplanung zur endgültigen Investitionsentscheidung zu gelangen, bedarf es einer öffentlich-privaten Partnerschaft, die eine Risikominderung ermöglicht, bis Wasserstoff die Preisparität mit fossilen Brennstoffen erreicht hat. Die von den Mitgliedern des norwegischen H2-Forums favorisierte Maßnahme ist ein System von Differenzverträgen (CFD).

Wir haben der Regierung vorgeschlagen, dass eine erste Auktion so bald wie möglich im Jahr 2024 stattfinden sollte, um für die vielen Unternehmen, die sich jetzt in einem Stadium befinden, in dem sie eine endgültige Investitionsentscheidung treffen oder sich nach anderen Projekten umsehen müssen, Planungssicherheit zu gewährleisten. Bei der Verabschiedung des Staatshaushalts im vergangenen Jahr forderte das norwegische Storting (Parlament) die Regierung auf, einen Plan für ein CFD-System im Jahr 2023 zu entwickeln. Erdöl- und Energieminister Terje Aasland hat bestätigt, dass die Regierung diesen Plan entsprechend umsetzen wird.

Großer Sprung für deutsch-norwegische Partnerschaft

Während bei der Entwicklung der heimischen Wertschöpfungskette für Wasserstoff noch Unsicherheiten bestehen, wurden mehrere große Schritte unternommen, um eine Wertschöpfungskette für groß angelegte Wasserstoffexporte von Norwegen nach Deutschland aufzubauen. Im Januar 2022 läutete der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre eine neue Ära der bilateralen Zusammenarbeit im Energie- und Industriebereich ein, als er Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin besuchte, um eine erneuerte Energie- und Industriepartnerschaft zwischen beiden Ländern zu begründen. Seitdem sind die Minister beider Länder in einem beeindruckenden Tempo hin- und hergereist, nicht zuletzt aufgrund des russischen Einmarsches in der Ukraine einen Monat nach Støres Besuch.

Seit dem Besuch von Vizekanzler Robert Habeck in Oslo im März letzten Jahres läuft eine Machbarkeitsstudie über groß angelegte Exporte per Pipeline, deren Ergebnis bald erwartet wird. Sollte die Entscheidung für den Bau einer Pipeline fallen, könnte Norwegen bis Anfang der 2030er Jahre zwei bis vier Millionen Tonnen Wasserstoff direkt nach Deutschland exportieren (s. Abb. 1). Die Pipeline wird 30 Prozent größer dimensioniert sein als die derzeitigen Pläne für eine kohlenstoffarme Produktion und wird erneuerbaren Wasserstoff sowohl vom norwegischen Festland als auch aus Offshore-Windparks entlang der Strecke aufnehmen können.

Auf die enge politische Zusammenarbeit folgte eine Reihe von industriellen Kooperationsprojekten. Erstens haben wir ein Memorandum of Understanding (MoU) mit dem Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV), mit dem wir uns regelmäßig in verschiedenen Zusammenhängen treffen, zum Beispiel auf der Bühne der diesjährigen Hannover Messe, um die Bedeutung der deutsch-norwegischen Partnerschaft zu diskutieren (s. Abb. 3).

Zweitens haben wir eine strategische Kooperationsvereinbarung mit dem Zentrum Wasserstoff.Bayern (H2.B), das wir mit einer Delegation während eines politischen Rundtischgesprächs im Januar besucht haben. Wir hoffen, dass diese Zusammenarbeit dazu beitragen wird, Wasserstoffexporte auch in die Alpen zu ermöglichen und die Zahl der schweren Lkw mit Wasserstoff als Kraftstoff auf norwegischen Straßen bald zu erhöhen. Die fünf norddeutschen Bundesländer (HY-5) haben auch eine formelle Zusammenarbeit mit der norwegischen Förderagentur Innovation Norway vereinbart.

Equinor und RWE vereinbarten Anfang dieses Jahres, beim Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken zusammenzuarbeiten, um gemeinsam Offshore-Windparks zu entwickeln, die die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff ermöglichen, und kohlenstoffarme Wasserstoffproduktionsanlagen in Norwegen zu bauen, mit der Absicht, per Pipeline von Norwegen nach Deutschland zu exportieren. VNG arbeitet mit Equinor an dem Projekt H2GE Rostock zusammen, aber auch mit Aker Horizons und Yara besteht eine laufende Zusammenarbeit. Der deutsche Energieversorger EnBW ist auf dem norwegischen Markt im Rahmen der Entwicklung von Offshore-Windkraftanlagen aktiv und hat Verhandlungen mit Skipavika Green Ammonia aufgenommen.

Im Bereich der Elektrolyseure wird Nel Hydrogen Komponenten für zwei Wasserstoffanlagen liefern, die von HH2E entwickelt werden. Norwegische Wasserstoffproduzenten arbeiten auch sehr gut mit deutschen Elektrolyseurherstellern wie Fest und H-Tec zusammen. Es ist wahrscheinlich keine Überraschung, dass Linde bei der Inbetriebnahme der weltweit ersten mit Flüssigwasserstoff betriebenen Fähre, der MF Hydra, Anfang dieses Jahres sowohl den Wasserstoff als auch die Bunkerlösung geliefert hat.

Dies sind nur einige wenige Beispiele, die zeigen, welche enormen Möglichkeiten der Wasserstoff in Norwegen bietet. Die Zusammenarbeit mit Deutschland wird bei der Ausschöpfung dieses Potenzials von entscheidender Bedeutung sein, und ich bin sicher, dass wir im Jahr 2030, wenn wir die norwegische Wasserstofflandschaft erneut unter die Lupe nehmen, eine norwegische Industrie sehen werden, die einen entscheidenden Beitrag zur Emissionsreduzierung und zur Energiesicherheit in Europa leistet.

Generalsekretärin Norwegisches Wasserstoffforum

Das Norwegische Wasserstoffforum (NHF) wurde 1996 gegründet und ist der nationale Verband für die Wasserstoff- und Ammoniakindustrie in Norwegen. Das NHF arbeitet aktiv an der Verbreitung von Schlüsselinformationen über die Forschung und Vermarktung von Wasserstoff- und Ammoniaktechnologien, Markttrends und internationale politische Entscheidungen. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Behörden und Entscheidungsträgern zu vertreten.

 

Eine wahre Aufbruchsstimmung in Sachen Wasserstoff

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Olaf Lies, niedersächsischer Umweltminister

Am 26. Oktober 2021 hat der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband sein 25-jähriges Verbandsjubiläum in Berlin gefeiert und passend dazu einen parlamentarischen Abend mit zahlreichen prominenten Teilnehmern abgehalten. Unschwer zu erkennen war, dass die Industrie in den Startlöchern für den Hochlauf der H2-Wirtschaft in vielen Energiesektoren steht. Man muss aber auch realistischerweise feststellen, dass grüner Wasserstoff vor allem aus dem nahen und fernen Ausland nach Deutschland kommen wird, weil die dortigen Rahmenbedingungen einfach besser sind und sich Wasserstoff wesentlich günstiger in großen Mengen produzieren lässt, als es bei uns der Fall ist – selbst wenn die regenerativen Energien hier im großen Stil ausgebaut würden. All das würde auch in der Umsetzung bei uns viel zu lange dauern, wenn man die Planungsverfahren und deren Dauer wie auch die Einsprüche nach dem Prinzip „not in my garden“ u.a. realistisch betrachtet.

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Der vielleicht interessanteste Energieträger

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Thomas Bareiß
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Wasserstoff ist inzwischen auf der allerhöchsten politischen Ebene angekommen: Bereits vor der Sommerpause hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine H2-Strategie für Deutschland ausgesprochen. Damit war sie es, die die Marschrichtung bei der Energiewende vorgab, …

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Japan: Forcierung der SOFC-Technologie

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Hama

Hama-Windkraftanlage in Yokohama, © Toyota


Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft gehört zu Japans Erfolgsgeschichten, trotz hoher Kosten und noch fehlender Nachfrage. Deswegen konzentriert sich das Land jetzt auf Kostensenkungen. Im Juni 2017 wurden dafür wesentliche Änderungen im Regulierungsrahmen zur Errichtung von H2-Stationen beschlossen, die bislang als Industrieanlagen angesehen wurden. (mehr …)

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